Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis einer stirbt

Bis einer stirbt

Titel: Bis einer stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
Vom Netzwerk:
zugemacht.
    Nachdem ich ihr von Pits Anruf erzählt und ihr vorgegaukelt hatte, dass es ihm gut ging, fragte ich sie nach Vater.
    »Unverändert.« Ihre Augen, in die neues Leben gekommen war, als ich von Pit erzählt hatte, verloren schlagartig ihren Glanz. »Er sagt, dass ihr für ihn gestorben seid. Alle beide. So geht man nicht mit seinen Eltern um, sagt er. Er trinkt viel. Aber vielleicht hat er trotzdem Recht. Geht man so mit seinen Eltern um?«
    »Ich hab mich nicht selbst rausgeschmissen«, sagte ich. »Das war er.«
    »Aber du kennst ihn. Du weißt, dass er es nicht so gemeint hat.«
    »Du hast Recht.« Ich ließ mich nicht beirren. »Ich kenne ihn. Sehr gut sogar. Und genau deshalb ist mir klar, dass es so nicht weitergeht. Er ist sicher auch ein Grund, warum Pit nicht mehr nach Hause will.«
    »Du kannst nicht immer die Schuld bei anderen suchen«, gab sie hart zurück und drückte ihre Zigarette in den Aschenbecher. Wir hatten uns noch nicht mal was zu trinken geholt, geschweige denn etwas Essbares. Eigentlich hab ich nach der Schule immer einen Bärenhunger. Heute aber fühlte ich mich innerlich wie zugeklebt.
    »Das tue ich gar nicht«, sagte ich und fing an, an meinem Daumennagel zu knabbern. Eine saublöde Angewohnheit, die ich eigentlich vor ungefähr einem halben Jahr aufgegeben hatte. »Ich wollte euch einen Vorschlag machen«, sagte ich so leise, dass ich mich selbst kaum hören konnte, »Papa und dir.«
    Meine Mutter sah mich angestrengt an. »Ich habe auch einen Vorschlag«, konterte sie. »Geh hier raus, setz dich in den Bus, fahr nach Hause und vertrag dich wieder mit deinem Vater. Wenn du mit gutem Beispiel vorangehst, wird auch Pit den Weg zurückfinden.«
    Sie steckte sich eine neue Zigarette an. Sonst rauchte sie nicht so viel.
    Wenn das so einfach wäre, dachte ich, würde ich es machen. Sofort!
    Ich hatte es so satt, dass Pit in einer ganz anderen Welt lebte als ich, außerdem wollte ich gern wieder in meinem eigenen Bett schlafen.
    »Und jetzt mein Vorschlag«, sagte ich. »Wäre schön, wenn du ihn dir erst mal anhörst.«
    »Nun?«
    »Eigentlich ist es ein Vorschlag von Nils’ Mutter.«
    »Der Kommissarin«, stellte sie fest, »bei der du … wohnst.« Das letzte Wort kam ihr nur schwer über die Lippen.
    »In deren Wohnung ich ein paar Tage untergeschlüpft bin«, korrigierte ich. »Sie ist bereit, bei einem Gespräch mit Papa und dir dabei zu sein.«
    Meine Mutter gab einen verächtlichen Laut von sich.
    »Wenn’s geht, auch mit Pit«, fügte ich leise hinzu.
    Ihre Skepsis wuchs. Sie verstand nicht genau, was ich von ihr wollte.
    »Sie wäre dann so eine Art Schiedsrichter«, erklärte ich. »Damit alle sich an die Regeln halten.«
    »Welche Regeln?«
    »Regel eins«, sagte ich energisch. »Kein Alkohol. Regel zwei: Keiner schreit den anderen an. Und Regel drei: Jeder lässt den anderen aussprechen.«
    »Du glaubst doch nicht im Ernst«, sagte sie skeptisch und zog an ihrer Zigarette, als übe sie für die Raucherolympiade, »dass er so was mitmacht. Er wird einen Tobsuchtsanfall kriegen, das ist alles.«
    Ich wusste genau, dass sie Recht hatte.
    »Nein«, sagte sie, stand auf und drückte die halb gerauchte Zigarette in den Aschenbecher. »Tut mir leid, mein Kind, aber das kannst du vergessen.«
    Mit schweren Schritten machte sie sich auf den Weg zu ihrer Kasse zurück. Die Zigarette hatte sie nicht richtig ausgedrückt. Blauer Qualm stieg in die ohnehin miese Luft.
    Beim Rausgehen fiel mein Blick noch einmal auf die Zeitung mit dem Bild des Toten. Und plötzlich wusste ich, woher ich das Schildkrötentattoo kannte. Warum war mir das nicht eher eingefallen? Ich verglich das Foto mit meiner Erinnerung. Als ich ihn lebend gesehen hatte, war sein Gesicht fast schön gewesen, wovon auf diesem Bild nicht viel übrig war. In Panik flogen meine Gedanken zurück zu Pit.
    »Soll ich dir ein paar Rühreier mitmachen?«, fragte Nils, als ich eine halbe Stunde später bei ihm aufkreuzte. Nachdem er mir die Tür geöffnet hatte, ging er zurück zum Herd.
    Seine Frage überhörte ich. Ohne meine Jacke auszuziehen, reichte ich ihm den Zettel mit den Satzfetzen aus dem Gespräch mit Pit.
    »Kannst du damit irgendwas anfangen?«, fragte ich.
    Überrascht sah er mich an und las. Ohne den Zettel zur Seite zu legen, kippte er mit der anderen Hand verquirlte Eimasse in die Pfanne.
    Ich fragte nach dem Telefonbuch. Nils zeigte stumm auf eine Schublade.
    Ich setzte mich mit dem Buch an den Tisch und

Weitere Kostenlose Bücher