Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
aufsah und eine wabernde Masse von Horrorfilm-Köpfen und schreienden Mündern erblickte, die auf mich zusteuerten wie eine schauerlich geifernde Bestie, wollte ich nicht erstarren … ich wollte mich nicht vor der Bestie ducken wie ein verängstigtes Kind, mich gegen die Wand drücken, den Kopf in den Händen vergraben … und ich wollte auch nicht vor Angst zurückzucken, als einer der vielen lachenden Köpfe der Bestie in meine Richtung schnappte wie eine fauchende Schlange und mir ins Gesicht schrie: »WICHSER!«
Doch ich konnte nicht anders.
Ich musste stehen bleiben.
Und während die Gruppe junger Männer mit ihren Halloween-Masken lachend und speiend, schreiend und grölend die Straße weiterlief, ließ ich mich zu Boden sinken und saß bloß bibbernd und zitternd da und versuchte zu denken.
Ich zündete eine Zigarette an.
Ich versuchte zu denken …
Ich musste mich wiederfinden, mein Ich wiederfinden,den Teil von mir, der wusste, dass Garrow oder einer der andern mir etwas in meinen Whisky oder in einen der Joints getan haben musste, den Teil von mir, der wusste – und es die ganze Zeit gewusst hatte –, dass ich nicht vom Skunk oder irgendeiner anderen besonders starken Cannabis-Sorte stoned war. Doch auch wenn mir klar war, dass es dieses Ich irgendwo in mir gab, kam ich nicht ran. Es war zu weit weg, zu schwach … zu tief unter dem Wahnsinn vergraben. Und wie ich dort saß, rauchte und in die Nacht starrte, war die einzige Stimme in meinem Kopf die, die ich schon vorher gehört hatte: die Stimme, die von Geburt und Tod und schreienden Babys sprach …
Und ich wusste, dass diese Stimme Scheiße redete.
Ich drückte die Zigarette aus, rieb mir die Augen und stand wieder auf.
Es hatte leicht angefangen zu regnen, der Regen schimmerte silbern im Dunst. Ich sah Millionen leuchtende Diamanten …
Dann schüttelte ich den Kopf und brach auf.
So ging es auf dem ganzen Weg zum Hotel – die Wahrheit kam und ging, die Realität ebbte ab und überflutete mich. Doch auch wenn mir die Außenwelt immer noch Dinge vorgaukelte, während ich den Parkplatz überquerte und auf die gedämpften Lichter der Lobby zulief, ergab meine innere Welt langsam wieder etwas mehr Sinn. Rational denken konnte ich immer noch nicht, und als ich die Hoteltür aufschloss, hineinging und sich die Decke der Eingangshalle auf mich senkte, brauchte ich weiterhin meine ganze Aufmerksamkeit für die unmittelbaren Dinge, wie Stehenbleiben und Mich-nicht-Fürchten. Doch als ich das geschafft hatte und die Decke dorthin zurückgekehrt war, wo sie hingehörte, spürte – dachte – ich, dass ich es fast geschafft hatte. Ich musste jetzt nur noch die Lobby durchqueren … den beunruhigend kippenden Boden nicht beachten … danach die Türöffnen und den Flur entlanggehen … die geisterhaften Stimmen möglichst ignorieren – Hey, alles in Ordnung? … Alles okay, Buddy? … Brauchen Sie Hilfe? … Passen Sie auf sich auf, ja? – und dazu das Lächeln eines Kaugummi kauenden Mädchens – Was hört sie wohl auf ihrem iPod? … Vergiss es, du bist fast da … geh einfach weiter, beweg dich … einen Schritt, noch einen Schritt … wir sind fast da … nur noch ein paar Sekunden, dann können wir reingehen und die Tür zumachen, die Welt ausschließen … wir können trinken und trinken, bis es dunkel wird und es nichts mehr zu fürchten gibt, keine Monster mehr, keine Stimmen, keinen Wahnsinn … nur noch eine zeitlose Leere aus Nichts, bis wir wieder aufwachen …
Und danach ist alles wieder in Ordnung.
Ich fummelte in meiner Tasche, fand die Schlüsselkarte und wollte sie gerade durchziehen, als ich merkte, dass die Tür gar nicht richtig zu war.
»Scheiße«, flüsterte ich und sah mich um.
Der Flur war leer.
Ich stand ganz still und horchte.
Nichts.
Ich schaute auf die Tür. Sie war rangezogen, aber nicht eingeklinkt … und ich überlegte kurz, ob ich sie selbst so aufgelassen hatte. Ich schloss die Augen, rief das Bild in mir wach, wie ich sie öffnete, hinaustrat und sie wieder schloss … Hatte ich sie zugezogen? Ich erinnerte mich nicht. Es war einfach zu lange her … mindestens tausend Jahre.
»Verdammt«, sagte ich und schlug die Augen wieder auf.
Das konnte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Was immer es war … ich hätte gut darauf verzichten können.
Ich holte tief Luft, ließ sie langsam wieder ausströmen und stieß die Tür auf. Nichts geschah. Ich wartete eine Minute, noch eine Minute, stand so still da,
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