Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
das musste bei dem Zusammenstoß mit Lyle und seinen Jungs passiert sein –, sondern auch, weil mir jede Vorstellung von Zeit abhandengekommen war. Im einen Moment fühlte sich alles ganz langsam, fast zeitlos an und dann plötzlich merkte ich, dass zehn Minuten von einem Augenblick zum nächsten weg waren.
    Wenn ich nicht so neben der Spur gewesen wäre, hätte ich das wahrscheinlich ziemlich zermürbend gefunden.
    Doch in meinem Zustand merkte ich es kaum.
    Ehrlich gesagt bekam ich nach einer Weile überhaupt nichts mehr mit … jedenfalls nichts logisch Zusammenhängendes. Ich wusste zwar, was ich tat, und auf einer bestimmten Ebene bekam ich alles um mich herum sehr genau mit – die Leute, die Bar, die Hintergrundmusik … ich hörte jede Stimme, sah jede Szene, konnte jede kleinste Nuance einer Geste bestimmen –, aber alles geschah so isoliert, so unverbunden, dass genau in der Klarheit der einzelnen Momente das Problem steckte: Sie waren nichts weiter als Momente, und wenn deine Existenz aus einer Aneinanderreihung unverbundener und damit bedeutungsloser Momente besteht, ist es irgendwie schwer, einen Sinn darin zu finden.
    Und genauso schwer ist es, sich später an etwas zu erinnern.
    Das heißt, auch wenn ich genau weiß, dass ich eine Zeit lang mit Garrow und den andern im Pub saß, habe ich doch keine Erinnerung daran, ob ich mit einem von ihnen redete, und wenn ja, worüber wir sprachen … Und während sich bei mir das Gefühl breitmachte, es wäre eine Stunde gewesen, können es genauso gut nur zwanzig Minuten oder auch zwei Stunden gewesen sein … und auf jeden Fall weiß ich nicht, wie viel ich getrunken oder wie viel Dope ich geraucht habe …
    Nur an eines erinnere ich mich komischerweise: wie ich plötzlich merkte, dass meine Blase schmerzhaft voll war und ich sie wer weiß wie lange nicht mehr geleert hatte. Aber selbst da hätte ich fast entschieden, dass es mir egal war. Ich war in dem Stadium des Berauschtseins, in dem körperlicher Schmerz in die Ferne rückt – statt ihn wirklich zu spüren, weißt du nur, dass er da ist. Und es ist überhaupt kein Problem, ihn zu ertragen. Genauso war es mit meiner Blase. Sitzen zu bleiben und den schwachen pulsierenden Schmerz zu ignorieren war so viel leichter, als aufzustehen und den ganzen Weg bis zur Toilette zu gehen, zumal ich unsicher war, ob ich es überhaupt schaffen würde, aufzustehen und quer durch den Raum zu laufen. Doch dann dämmerte mir, dass ich es womöglich mit einer vollen Blase aufnehmen konnte, aber meine Blase es vielleicht nicht schaffen würde, und als ich mir vorstellte, wie peinlich es wäre, wenn sie versagte, spürte ich den Schmerz plötzlich doch und merkte, dass ich dringend gehen musste.
    Es war gar nicht so schwierig, wie ich gedacht hatte – aufzustehen, das Wort »Toilette« zu murmeln, ein bisschen zu taumeln, den Tisch zu verlassen und auf die Tür zum Gang zuzugehen –, ehrlich gesagt fühlte ich mich längst nicht so betrunken und zugekifft wie erwartet. Das heißt nicht, dass ich mich nicht merkwürdig fühlte. Im Gegenteil, mirwar absolut merkwürdig. Aber es war kein durch Alkohol und Cannabis hervorgerufenes Gefühl, da war ich mir vollkommen sicher. Es war etwas anderes … ein fremdartiges Gefühl, etwas, das mir ein Empfinden von Schwere und Leichtigkeit gab, als würde ich gleichzeitig schweben und ertrinken … die Luft war fließend … und der Boden so weit entfernt … die Welt wurde elastisch.
    Als ich die Toilette betrat, wurde es noch schlimmer. Die Wände, die Decke, die Waschbecken … alles war entstellt, krümmte sich, verwandelte sich … die Flächen, die Winkel, die Farben … die Formen der Dinge zerflossen und setzten sich in dem sterilen weißen Licht wieder neu zusammen … und selbst als ich stehen blieb und die Augen schloss, um den Wahnsinn aus meinem Kopf zu verbannen, hörte es nicht auf. Die Dunkelheit meines Innern erstrahlte in Farben – Rot, Gelb und Grellblau, durchzogen von Streifen strahlend weißen Lichts, schwarzen Blitzen, fluoreszierenden Sternen …
    »Scheiße«, sagte jemand … die Stimme eines Riesen, tief, langsam und ohne Ausgangspunkt … gedehnt, verstellt, von überall …
    »Fuck.«
    Ich öffnete die Augen.
    Alles war plötzlich wieder normal. Die Wände waren einfach nur Wände, die Waschbecken einfach nur Waschbecken … alles so, wie es sein sollte.
    Ich fing an zu lachen, doch es klang zu schaurig, deshalb hörte ich wieder auf.
    Ich zündete eine

Weitere Kostenlose Bücher