Bis ich bei dir bin
die Rollen ihres Bürostuhls.
»Keine Ahnung.«
»Gibt es vielleicht Gründe dafür, dass sie sich in letzter Zeit verstärkt um dich sorgt?«
Es gibt tausenderlei Gründe, weshalb meine Mom sich um mich sorgen müsste – ich mache mir ja selbst Sorgen –, aber deswegen bin ich nicht hier. Ich bin hier, um die Psychopharmaka zu vermeiden, und nicht, um mir welche verpassen zu lassen. Doch genau das wird passieren, wenn ich Dr. Summers von meiner Begegnung mit dem merkwürdigen Mädchen erzähle, das behauptet hat, Viv gekannt zu haben, um sich kurz darauf wieder in Luft aufzulösen.
Was ich brauche, ist ein Ablenkungsmanöver.
»Das war blöd von mir«, sage ich. »Keine große Sache. Ich war wütend wegen Dad, deshalb sind ein paar Sachen in der Küche zu Bruch gegangen.«
Sie zieht eine Augenbraue hoch. »Es ist schon länger her, dass du so wütend geworden bist.«
Mist, schlechter Plan. Unter anderem wollten sie mich nämlich schon mal wegen meiner Wutanfälle auf Pillen setzen. Bis Viv mir klargemacht hat, dass nichts und niemand diese Toberei wert ist. Sie blieb immer so ruhig, wenn ich ausgerastet bin, dass meine Wut nie lange anhielt. Solange wir uns hatten, zählte alles andere nicht. Meine Brust schmerzt. Eigentlich will ich Viv da nicht mit hineinziehen, zumal sie nichts mit dem zertrümmerten Telefon oder dem zerbrochenen Glas zu tun hatte, aber sie ist die einzige Ursache, die niemand infrage stellen wird.
»Ich habe nur einfach … Viv so vermisst.«
Dr. Summers macht ein unerträglich mitfühlendes Gesicht.
»Es ist nur so … Ich hatte nie das Bedürfnis, mit Dad zu reden, bevor sie …« Ich unterbreche mich. Hole tief Luft. »Also habe ich ihn angerufen.«
»Und wie war das, Cam?«
Ich mache den Mund auf und wieder zu und schiele zur Uhr hin, während ich überlege, was ich sagen soll und – noch wichtiger – was nicht.
»Nicht so gut«, antworte ich und hoffe, sie denkt sich ihren Teil.
»Oh?«
Ich blicke auf und möchte das für ein rhetorisches »Oh« halten, begegne aber einem emotionslosen Hirnklempnerstarren. Die Hand an eine Schläfe gepresst versuche ich nicht daran zu denken, dass Dad mich immer wieder angerufen und mir gemailt hat und ich nicht darauf reagiert habe. Dass ich wütender auf mich selbst war als auf ihn, als er sich am Telefon gemeldet hat – weil er nun auf die Idee kommen kann, dass ich ihn vermisse.
»Ich bin einfach noch nicht bereit, richtig mit ihm zu sprechen, okay?«
Dr. Summers bedenkt mich mit einem ihrer abschätzenden Blicke. So wie Androiden in Science-Fiction-Filmen ihr Gegenüber scannen, ehe sie es erschießen oder laufen lassen. »Wir können später noch einmal darauf zurückkommen. Aber ich bin froh, dass du ihn angerufen hast, als du durcheinander warst.«
Ich reibe meine schwitzenden Handflächen an den Hosenbeinen ab, sehe wieder zur Uhr und lache ein bisschen zu laut. »Na ja, könnte schlimmer sein. Ist ja nicht so, als würde ich mit kleinen grünen Männchen sprechen oder so was …«
Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Ich hoffe, du würdest es mir sagen, wenn du auf einmal kleine grüne Männchen sähest, Cam.«
Ich reibe mir den Nacken. Wie wär’s mit kleinen grünen Mädchen ?
»Okay, ich gebe Ihnen Bescheid, falls es so weit kommt«, entgegne ich schnell und frage mich wieder einmal, ob sie meine Lügen durchschaut. »Aber mal im Ernst, dass ich mich über meinen Vater aufrege, weil er nicht da ist, wenn bei mir alles scheiße läuft, ist meiner Ansicht nach kein ärztliches Rezept wert.«
»Da stimme ich dir zu.«
»Ehrlich?«
Sie nickt und stellt ihre Tasse ab. »Ich möchte die Möglichkeit nicht für alle Zeit ausschließen, aber du hast meine Einschätzung schließlich schon einmal widerlegt. Anfangs hätte ich nicht gedacht, dass du es ohne Medikamente schaffst, doch dann hattest du dich bemerkenswert gut gehalten in diesem Jahr …«
Den Rest lässt sie ungesagt: bis Viv starb .
Der Minutenzeiger der Wanduhr kriecht im Schneckentempo voran. Ich bleibe drogenfrei, wenn ich nur weiter das Richtige sage.
Dann überrasche ich mich selbst mit etwas Wahrem.
»Ich möchte mich weiter ohne über Wasser halten – für Viv.«
Dr. Summers lächelt. »Ich finde, das ist eine vernünftige Einstellung.«
NEUN
N a, wie geht’s?«, fragt Mike. Die Bässe hämmern so laut aus seinen Kopfhörern, dass ich noch mitkriege, was er gerade für einen grässlichen Indie-Rocksong hört, bevor er die Musik abstellt.
»Hey«,
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