Bis ich bei dir bin
meine Mutter, mich zu sehen, wobei die eine auch noch von der anderen für dieses Vergnügen bezahlt wird.
»Äh, okay, warum nicht.«
»Hey, Mann, ist ja nicht so, als würde ich dich um ein romantisches Date bitten, weißt du.«
Gegen meinen Willen muss ich lachen. »Meinst du, dieses neue Lokal hat so gute Chilipommes wie das Fast Break?«
»Solche, die bis runter in den Magen brennen? Das bezweifele ich.« Mike versetzt mir einen Schulterstoß. »Pommes-Beurteilung um sechs Uhr heute Abend. Bis dann.«
Es ist frostig und windstill, als ich über den Parkplatz von Dina’s Delicious Diner gehe. Zwar hat es noch nicht geschneit, aber der klare Himmel scheint geradezu danach zu lechzen, eine Wolkendecke über sich zu ziehen.
Ich sehe flüchtig zu dem orangefarbenen Neonschild auf der anderen Seite hin. »Fast« steht über der Tür, und dass es dort schnell geht, kann wohl niemand bestreiten. Die Garagentorfassade und die verrosteten Beleuchtungskörper, die sich schräg über den Parkplatz neigen, lassen darauf schließen, dass das Fast Break mal eine abgewirtschaftete Tankstelle war. Jetzt sieht es aus wie eine abgewirtschaftete Tankstelle, aus der jemand ein Speiselokal gemacht hat. Es ist noch schmuddeliger, als ich es in Erinnerung habe, oder vielleicht ist der Verfall auch einfach nur zwei Jahre weiter fortgeschritten, seit ich zuletzt darauf geachtet habe. Leute, die ich früher mal gut kannte, sitzen dicht gedrängt auf den harten, blauen Kunststoffbänken am Fenster und beugen sich über Chilifritten und riesige Schokomilchshakes. Es wäre jetzt ganz leicht, die Straße zu überqueren, die Tür aufzumachen und hineinzugehen.
Noch leichter ist es, es nicht zu tun.
Also ziehe ich die Tür von Dina’s Diner auf und werde von grünem Teppichboden, warmer Holzeinrichtung und … Hühnern empfangen. Hühner überall: Sie prangen aufgemalt an der Wand über dem Empfangspult, schmücken die Vorhänge, hocken oben auf Wandborden und belauern mich hinter Plastikpflanzen. Im Vorraum steht eine Vitrine mit mindestens zwölf verschiedenen Sorten Pie, alle von buntem Geflügel aus Ton oder Plüsch bewacht. Es herrscht viel Betrieb, trotzdem entdecke ich Mike sogleich in einer Nische.
Ich zwänge mich an einem Tisch mit alten Männern vorbei und dann an einer Mutter, die gerade zwei Kleinkinder zur Toilette scheucht. Als ich mich schließlich auf den weichen grünen Sitz an Mikes Tisch fallen lasse, sehe ich mich plötzlich Auge in Auge mit einem echten Hahn – oder was mal einer war. Ich rutsche am Tisch entlang zum Fenster.
»Was soll das mit den Hühnern?«, frage ich.
Mike will gerade antworten, aber da kommt schon die Kellnerin, sodass er nur den Kopf schüttelt und sich das Lachen verbeißt. Ich kriege meine Antwort, als sie uns die Speisekarten reicht und ich mich mit Dinas köstlicher Auswahl an Bauernburgern, Bauernsteaks, Bauernkartoffeln, Soße nach Bauernart und Bauernpies vertraut mache. Wenn man ländlich essen will, geht das offenbar am besten in einem kuriosen Hühnerstall.
»Irgendwie glaube ich nicht, dass sie Chilipommes nach Bauernart haben«, flüstert Mike mir zu.
Haben sie auch nicht, aber wir bestellen etwas, das sich Bauernfritten nennt und angeblich aus Pommes frites mit Bauernsoße besteht. Ist ja so ähnlich.
Ich zappele unruhig herum, während wir auf unser Essen warten. Die Hühner scheinen mich von allen Seiten her zu beobachten. Viv hätte sie auch grässlich gefunden.
»Hey, ist das nicht …« Mike gerät ins Stocken. »Ich glaube, ich kenne das Mädchen dort.«
Ich drehe mich um, aber das Lokal ist voller Familien, sodass ich nicht sehe, auf wen er zeigt.
»Wo?«
»Die dort drüben.« Er schnippt mit den Fingern, deutet dann auf mich und grinst. »Habe ich dich nicht gestern Abend mit ihr gesehen?«
Ich verschlucke mich an meiner Limo, kriege sie in die Luftröhre und pruste sie zur Nase heraus. Ich huste, bis der Raum vor meinen kohlensäuregereizten Augen nur noch ein verschwommenes grüngelbes Meer an Federn ist. Als ich hektisch blinzele, glaube ich, einen kupferbraunen Schopf zu erkennen, der jedoch in der Küche verschwindet, ehe mein Blick wieder klar wird.
»Ich war gestern Abend nicht …«, ich muss wieder husten und röcheln, »… mit einem Mädchen zusammen.«
Mike sieht mich komisch an. »Ich bin nach dem Training direkt an euch vorbeigefahren. Zuerst wollte ich anhalten, aber ihr wart so vertieft. Ich dachte, sie ist vielleicht eine Verwandte von Viv
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