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Bis ich bei dir bin

Bis ich bei dir bin

Titel: Bis ich bei dir bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Hainsworth
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Finger wieder zu der Stelle ausstrecken, halte mich jedoch zurück. Was ist, wenn ich es tue, und das grüne Licht noch da ist? Und was, wenn nicht? Eine Windböe fährt mir in die Haare und lässt mich frösteln. Ich ziehe die Hand zurück und mache meine Jacke zu.
    Soll ich jetzt einfach so gehen? Ich starre in die Nachtluft und habe Angst, woanders hinzusehen oder dem Mast den Rücken zuzukehren. Halb hoffe ich, dass noch etwas passiert, halb bete ich, dass nicht. Selbst wenn sich noch etwas ereignen würde, würde ich meinen Augen wohl sowieso nicht mehr trauen. Habe ich hier tatsächlich ein Mädchen gesehen? Das plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht ist und den Nachmittag bei mir zu Hause verbracht hat? Ich kicke einen Stein auf die Straße und höre zu, wie er klickend über den Asphalt hüpft. Meine Lippen kräuseln sich, und ich lache lauthals, aber meine Stimme schnappt über, sodass ich mir den Mund zuhalte, um das Krächzen zu ersticken.
    Vorsichtig berühre ich den Strommast und fahre mit den Fingern über die Karten und Fotos, die mich mit Viv verbinden. Ich greife nach dem Foto, das am nächsten hängt – dem Cheerleader-Schnappschuss –, und reiße es ab, zögere aber, als ich es in der Hand halte. Die Lücke, wo es hing, wirkt vollkommen falsch, als würde etwas Wichtiges fehlen. Ich werde panisch und versuche, es wieder anzubringen, doch die Heftklammern und das Klebeband spielen nicht mit. Nach einigen Minuten gebe ich es auf. Das Foto ist zerknittert, also streiche ich es glatt, bis Vivs Lächeln fast wieder richtig aussieht, und stecke es in die Tasche. Ohne diesen Schrein wüsste man gar nicht, was ihr zugestoßen ist. Ich blicke argwöhnisch zu der Stelle hin, wo das Geistermädchen – Nina – abgetaucht ist. Ich mag mich irren, doch ich könnte schwören, dass es dieselbe Stelle ist.
    Zwei Mädchen sind dort verschwunden. Und ich bin immer noch allein, ohne auch nur einen Geist an meiner Seite.

ACHT
    I n unserem Haus ist alles dunkel, aber Moms Auto steht in der Einfahrt, also schleiche ich mich auf Zehenspitzen hinein und schließe so leise wie möglich ab. Ich habe den Abend vor einer Tankstelle verbracht, einen Kaffee nach dem anderen geschlürft, den Styroporbecher mit beiden Händen haltend. Irgendwie muss ich alles, was ich sehe, anfassen und festhalten, um sicherzugehen, dass es nicht verschwindet. Mein Kopf ist schwer, ich fühle mich benommen und trotz des vielen Koffeins kein bisschen wacher als heute Morgen. Diese Nacht kommt mir jetzt schon wie ein merkwürdiger Traum vor, und im Moment will ich auch gern glauben, dass es einer war.
    Um zu meinem Zimmer zu gelangen, muss ich durch das Wohnzimmer. Mom schläft auf dem Sofa, ins Licht des Fernsehers getaucht. Die Lachkonserve einer alten Sitcom ist als Wispern zu hören. Sie hat noch ihr Bürokostüm an, die Schuhe liegen auf dem Boden. Nichts Ungewöhnliches. Sie schläft jetzt öfter hier als im ehemaligen gemeinsamen Schlafzimmer.
    Es zieht mich zu meinem eigenen Bett am Ende des Flurs, aber ich bleibe zögernd beim Sofa stehen. Sie sieht so klein aus, wie sie da zusammengekauert liegt. Ich beschließe, ihr eine Decke aus dem Wäscheschrank zu holen, doch bevor ich es tun kann, spricht sie mich an.
    »Spät geworden, Cam?«
    »Ich dachte, du schläfst. So spät ist es noch gar nicht.«
    Sie setzt sich auf und hält ihre Armbanduhr in das blaue Leuchten des Bildschirms. »Nein, wohl nicht.«
    Gelächter quäkt aus den Lautsprechern. Mom drückt die Stummtaste und klopft neben sich aufs Sofa.
    »Ich wollte jetzt eigentlich gern ins Bett«, sage ich, gehe aber um den Couchtisch herum und setze mich zu ihr. »Mathetest morgen.«
    »Was macht die Schule?«
    »Gut.«
    Sie verschränkt die Hände im Schoß.
    »Dein Vater hat heute wieder angerufen. Er sagt, er hätte dir auch gemailt.«
    »Interessiert mich nicht.«
    Ich starre auf glückliche Familien in Schwarz-Weiß, die sich geräuschlos über den Bildschirm bewegen.
    »Cam, Dr. Summers hat ebenfalls angerufen. Sie macht sich Sorgen um dich.«
    »Oh.« Das kaputte Küchentelefon drängt sich in mein erschöpftes Bewusstsein. Ich reibe mir die Augen. »Tut mir leid wegen dem Telefon. Ich kaufe uns ein neues.«
    »Möchtest du mir vielleicht auch erklären, warum überall Glasscherben auf dem Küchenboden lagen?«
    »Was?«
    Dann fällt es mir wieder ein. Ich schnelle so abrupt hoch, dass mir schwindelig wird, gehe in die Küche und mache das Licht an. Der geflieste Boden ist

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