Bis ich bei dir bin
schmutzige Küche.
»Als ich nicht wusste, wo du warst, habe ich Dr. Summers angerufen. Sie will dir helfen …«
»Sie hat mir schon geholfen«, erwidere ich. »Aber langsam glaube ich, dass ich mal eine Weile pausieren möchte.«
Mom legt ihre Zigarette auf dem überquellenden Aschenbecher ab und runzelt die Stirn.
»Dein Trainer hat angerufen.«
»Reed?«, schnaube ich. »Er ist nicht mein Trainer.«
»Er ist der stellvertretende Direktor. Er macht sich Sorgen um dich, Schatz, so wie wir alle.« Ihre Schultern sacken herab. »Du hast in den letzten Monaten die Hölle durchgemacht, ich weiß.«
Ich beobachte, wie sich der Rauch ihrer Zigarette nach oben kräuselt. Das ist Moms Vorstellung von elterlicher Fürsorge – mir unter die Nase zu reiben, wie viel Sorgen sich alle machen. Es liegt mir auf der Zunge, es ihr zu sagen: Ihr könnt alle damit aufhören, euch zu sorgen, denn ich habe sie wieder . Aber weil das nicht geht, spiele ich lieber mit, um weniger Scherereien zu bekommen.
Ich setze mich zu ihr. »Es war … schon hart.«
Sie nimmt meine Hand. »Ich besorge dir alles, was du brauchst, um es dir leichter zu machen. Du musst es mir nur sagen.«
Ich räuspere mich. Sie hat gerade versprochen, es mir leichter zu machen, und wenn ich mit Viv zusammen sein will, sollten mir so wenig Leute wie möglich im Nacken sitzen.
»Wir können nicht so weitermachen, Mom.«
Sie starrt lange auf ihre Zigarette, lässt aber meine Hand nicht los.
»Ich weiß.«
»Verstehst du …« Ich lehne mich etwas zurück, damit ich ihr ins Gesicht sehen kann. »Ich brauche ein bisschen mehr Raum für mich. Ich möchte wirklich gern eine Pause bei der Therapie einlegen.«
Sie runzelt die Stirn. »Warum?«
Die auf dem Tresen verstreuten Fotos starren mich an, und mein Puls beschleunigt sich. Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, sie auf diese neue Weise zu betrachten, in dem Wissen, dass Viv noch lebt. Mir schwindelt. Ich sammele die Bilder wieder ein und ordne sie zu einem säuberlichen Stapel.
»Dr. Summers will immer nur über die Vergangenheit sprechen. Ich muss aber anfangen, nach vorn zu schauen.« Beim Anblick von Vivs Gesicht auf dem obersten Foto macht mein Herz einen neuen Satz. Wie soll ich denn weiter den Trauernden spielen, wenn sie gar nicht tot ist? Ich deute mit einer ausholenden Geste durchs Haus. »Ich meine, sieh uns doch mal an, Mom. Vielleicht sollten wir beide mehr nach vorn schauen.«
Die ersten Sonnenstrahlen erhellen die Küche.
»Das ist ja eine ganz neue Einstellung«, sagt sie kopfschüttelnd, zieht ein letztes Mal an der Zigarette und drückt sie in dem Haufen von Kippen aus. Dann sieht sie mich an, forschend und ruhiger als seit Monaten. Mir bricht der kalte Schweiß aus.
Sie darf nicht Nein sagen …
»Ich muss zuerst mit deinem Vater sprechen«, murmelt sie. Ich zucke zusammen, sage aber nichts. So etwas hat sie schon öfter gesagt. »Wir reden später weiter darüber.«
Mom rutscht von ihrem Hocker und umarmt mich lange und fest. Automatisch erwidere ich ihre Umarmung und blicke dabei über ihre Schulter in die halb saubere Küche. Jeder, der hier hereinkommt, würde zweifellos merken, dass diese Familie Probleme hat. Doch irgendetwas ist jetzt anders. Zuerst glaube ich, dass neben dem Kühlschrank etwas fehlt, bis ich begreife, dass es nur der Abwaschstapel ist. Ich habe Wasser auf den Fußboden vor der Spüle getropft, sodass die weißen Fliesen unter der Schmutzschicht hervorscheinen. Es türmt sich immer noch mehr schmutziges Geschirr als sauberes um die Spüle, aber ich denke zaghaft – das sieht beinahe vielversprechend aus.
ACHTZEHN
E s ist noch nicht richtig dunkel, als ich am Abend wieder zu Vivs Haus komme, aber ich habe es nicht ausgehalten, länger zu warten als unbedingt nötig. Ich husche über den Rasen. Es brennt kein Licht bei ihr, was jedoch nichts zu sagen hat, ich muss nur das richtige Signal klopfen.
»Psst!«
Ich stoppe vor der Trauerweide und lausche. Die Stille lastet in der Luft.
»Hallo?«, flüstere ich.
Meine Augen haben sich noch nicht ganz an die Dunkelheit im Garten angepasst, weshalb ich erschrecke, als die hängenden Zweige sich vor mir teilen wie ein Vorhang.
»Du bist wiedergekommen«, wispert Viv.
Ich sauge ihren Anblick in mich auf und lasse meinen Blick auf ihren tiefgründigen braunen Augen ruhen.
»Hab ich doch gesagt.«
Sie kommt mir immer noch wie eine Erscheinung vor, und ich will die Hände nach ihr ausstrecken und sie zur
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