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Bis ich bei dir bin

Bis ich bei dir bin

Titel: Bis ich bei dir bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Hainsworth
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rauchst du wieder?«, frage ich.
    Sie antwortet nicht und senkt den Blick. Streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr, aber ihre Frisur ist sowieso im Eimer.
    »Bist du … high oder so etwas?«, will sie wissen.
    Meine Augenbrauen schießen in die Höhe. Ihre Miene ist so ernst, dass ich beinahe einen Lachanfall bekomme, aber ich reiße mich zusammen, denn das würde ziemlich übergeschnappt wirken, und übergeschnappt wäre im Moment äußerst kontraproduktiv. Stattdessen strecke ich die Arme aus und berühre meine Nase abwechselnd mit den Zeigefingern, wie man es vor den Polizeibeamten bei einer Alkoholkontrolle machen muss. Dann breite ich die Arme seitlich aus und balanciere auf einer gedachten geraden Linie durch das Zimmer, rolle den Fuß ganz ab, mache am Ende kehrt und komme zurück.
    Sie steht mit verschränkten Armen da, offensichtlich wenig beeindruckt von meiner Vorführung. Ich lasse die Arme fallen und sehe meine Mutter umgeben von verwelkten Zimmerpflanzen, Staub und lauter Lücken, wo Sachen fehlen. Sie wirkt so müde und einsam. Eine tiefe Traurigkeit bricht plötzlich durch meine euphorische Stimmung, und ich frage mich, wann sie so geworden ist. Schon bevor Dad ging?
    »Cam, was machst du da?«
    Ich zögere, dann platze ich damit heraus. »Das hier ist kein Zuhause mehr, Mom.«
    »Was?«
    Wir starren uns an, ich lasse den ganzen deprimierenden Anblick so richtig auf mich wirken, und auf einmal bin ich so sauer, dass ich nicht einmal mehr etwas sagen kann. Das Schrankfach rechts vom Fernseher ist mit DVD s gefüllt, während die linke Seite leer ist, als hätte Dad sich einfach auf gut Glück die Hälfte genommen und dann immer so weitergemacht, ohne zurückzublicken. Einen schrecklichen Augenblick lang glaube ich zu wissen, was in ihm vorging, und hasse sie dafür. Ich ziehe ein paar Filme heraus und verteile sie gleichmäßig in den Fächern. Als Nächstes kommt die große freie Stelle überm Kamin dran, die früher ein Gemälde von einer Winterlandschaft bedeckte. Ein gerahmtes Poster von einer Picasso-Ausstellung hängt ein Stück weiter in einer dunklen Ecke, und ich schnappe es mir.
    »Was soll das? Was tust du da?« Ihr Gesichtsausdruck ist von verkniffen-besorgt zu hitzig-verärgert übergegangen.
    »Was wir gleich hätten machen sollen, nachdem er ausgezogen war«, antworte ich.
    »Hör auf damit!«
    Ich stoße sie wütend weg. Wie kann auf der einen Seite eines komischen grünen Lichts alles so harmonisch sein und auf der anderen so beschissen? Ich schiebe das Poster an der Wand entlang, bis der Aufhängedraht sich um den alten Nagel im Putz hakt, und trete ein Stück zurück. Der blaue Akt macht sich gut über dem Kaminsims.
    »Hast du mit deinem Vater gesprochen?«, fragt sie scharf. »War das seine Idee?«
    Ich funkele sie an. »War das seine Idee, dieses Haus zu einem Dreckloch verkommen zu lassen?«
    Ich marschiere in die Küche und winde mich vor Peinlichkeit, als ich den Schmutz und die Unordnung mit Ninas Augen sehe. Herrscht im Haus meines anderen Ichs auch so ein Zustand? Das bezweifele ich stark. Ich öffne die Schränke und verteile das wenige saubere Geschirr in den halb leeren Fächern. Mom ist mir gefolgt, aber ich weigere mich, sie anzusehen. Ich zerre den überquellenden Müllbeutel aus dem Küchenabfalleimer und werfe ihn hinaus. Drehe das Wasser auf und fange an, die Gläser, Teller und Töpfe abzuwaschen, die sich in der Spüle stapeln. Sie sagt keinen Ton mehr. Nur das dumpfe Aneinanderstoßen der Gläser im Wasser ist zu hören.
    »Sie war so schön, mein Schatz …«
    Dampf steigt von dem laufenden Hahn vor mir auf. Ich drehe ihn ab.
    Mom hält eine brennende Zigarette in der Hand. Ich hatte die Fotos von Viv auf dem Küchentresen abgelegt, und sie hat sie nun alle vor sich ausgebreitet. Eine Träne läuft ihr übers Gesicht. Sie tippt auf einen Schnappschuss von einer Biologie-Exkursion, die unsere Klasse gemacht hatte, kurz bevor ich mir das Bein brach. Darauf beugt sich Viv über einen rosa blühenden Strauch und beobachtet einen Schmetterling. Ein gespanntes Lächeln hat sich auf ihr Gesicht gestohlen, weil sie darauf wartet, dass das Insekt sie bemerkt und davonfliegt. Sie machte so etwas gern, den genauen Moment herauszufinden, wenn aus Nähe plötzlich zu viel Nähe wurde. Ich kämpfe die aufkeimende Trauer nieder, bevor mir einfällt, wie ich sie heute in den Armen gehalten habe.
    Mom besieht sich die etwas weniger unaufgeräumte, wenn auch immer noch

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