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Bis ich bei dir bin

Bis ich bei dir bin

Titel: Bis ich bei dir bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Hainsworth
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sie.
    »Ich versuche mich daran zu erinnern, wie es war, er zu sein – vor der Sache mit dem Bein.«
    »Puh.« Sie gräbt ihre Nase in den offenen Kragen meiner Jacke. »Training, Training, Training und nach dem gebrochenen Bein Physiotherapie, Gewichtheben, Training …«
    Ich drücke sie zärtlich. »Ich wette, es war eher Viv, Training, Viv, Viv, Training, Viv …«
    Ich will sie küssen, aber sie schubst mich spielerisch weg. »Nein, war es nicht.«
    »Also, wenn ich er gewesen wäre, hätte ich …«
    »Du bist er.« Sie lächelt schief.
    »Möchte wissen, wieso unsere Leben so einen unterschiedlichen Verlauf genommen haben.«
    Sie reckt sich und sieht auf mich herunter. »Weil du alles richtig gemacht hast.«
    Ich werfe lachend den Kopf zurück. »Nein, ich habe alles falsch gemacht! Ich hätte mich dazu antreiben sollen, weiterzuspielen, dann wäre ich nicht von der ganzen Schule geschnitten worden.«
    »Für was hast du dich stattdessen entschieden?«, fragt Viv mit tiefem Blick.
    »Für … für dich.« Sobald es heraus ist, wird mir klar, dass es stimmt. Wer braucht die schon, solange wir uns haben? Ich glaubte tatsächlich, nichts anderes zu brauchen, bis zu der Nacht, in der sie starb.
    Sie runzelt die Stirn, und in ihren Augen liegt eine so tiefe Traurigkeit, dass ich es kaum ertragen kann.
    »Bin ich so schlimm?«, will sie wissen.
    Ich schlinge meine Arme um sie, und sie schmiegt sich an mich, dass die dunklen Locken ihr ums Gesicht fallen. Ihre Lippen sind wunderbar warm trotz der kalten Nacht.
    »Du bist alles für mich«, sage ich.
    Sie lehnt sich schniefend ein Stück zurück. »Bitte lass mich hierbleiben. Für immer, ja?«
    »Ehrlich, Viv«, ich fahre mit dem Finger über ihre perfekte Nase, »was ist denn so kompliziert an deinem Leben?«
    Sie antwortet nicht gleich und starrt in ihren Schoß. »Alle kritisieren mich andauernd. Ich will einfach weg von allem – zusammen mit dir.«
    Ich sehe sie fest an. »Glaub mir, wir werden einen Weg finden. Du kannst nicht hierbleiben, aber ich gehe nirgendwohin, keine Angst.«
    Sie erwidert meinen Blick zuerst, doch dann macht sie wieder ein langes Gesicht und rutscht von meinem Schoß.
    »Außer zu Nina.«
    Ich sitze regungslos da, während die Wärme zwischen unseren Körpern langsam schwindet. Vorhin war ich noch auf eine Bemerkung dieser Art vorbereitet gewesen, doch jetzt überrumpelt mich ihr vorwurfsvoller Ton.
    »Komm schon, Viv, ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht …«
    »Woher soll ich das denn wissen?«
    »Zerbrichst du dir immer noch den Kopf wegen dieser Stalking-Sache? Ich glaube nämlich nicht, dass …«
    Sie entreißt mir ihre Hand. »Tu ich nicht!«
    »Außerdem hat sie heute versucht, mir zu helfen …«
    »Sie hat was?«
    Zu spät merke ich, was ich da gesagt habe. Viv macht nun völlig dicht und verschränkt die Arme vor der Brust.
    »Ich bin nicht zu ihr gegangen, sie ist zu mir gekommen.« Ich atme tief durch, um mich zu beruhigen. »Komm, lass uns vernünftig sein.«
    Sie springt auf die oberste Bank, ehe ich auch nur blinzeln kann. »Du kennst sie nicht, du weißt nicht, was sie getan hat! Sie wollte dich mir wegnehmen!«
    »Viv, komm runter.« Ich strecke vorsichtig die Hand nach ihr aus. »Du fällst sonst noch.«
    Die Tribüne ist alt, und die Sitzbänke in der letzten Reihe haben keine Lehnen, sondern bloß eine niedrige Querstange, die sitzende Zuschauer davor bewahren soll, herunterzufallen. Vivs Augen funkeln wild – wie die eines gejagten Tieres. So habe ich sie noch nie erlebt. Sie breitet die Arme aus, als würde sie auf einem Trapez balancieren, und lehnt sich schwankend nach einer Seite. Ich sehe nach unten zu dem gut sechs Meter tiefer gelegenen Erdboden, der mit Glasscherben übersät ist.
    Viv folgt meinem Blick und beugt sich weit genug vor, um mich vollends in Panik zu stürzen. Ihr Ausdruck ist traurig und irgendwie geisterhaft. Ein Windstoß weht ihr die Locken ins Gesicht, worauf mir der verrückte Gedanke durch den Kopf schießt, dass sie erkennen könnte, wie falsch das ist, was sie da tut und was sie da redet, wenn sie nur ihre Haare zurückstreichen würde. Gleich darauf macht sie es sogar – ohne etwas zu erkennen.
    »Möchte wissen, ob es wehgetan hat, als ich gestorben bin.« Sie drückt eine Faust an ihre Brust und schwankt wieder. »Ich glaube nicht, dass es so schlimm wehtut wie das hier.«
    Mir bricht der Schweiß aus, und der Wind ist kein bisschen mehr kalt. Ich hebe beschwichtigend beide

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