Bis ich bei dir bin
krausgezogen.
»Sie war Engländerin«, erklärt sie. »Eines Tages fahre ich dorthin, in das kleine Dorf, aus dem sie kam. Ich möchte in England auf dem Land leben, Bücher lesen und Leute zum Tee einladen.« Ihre Stimme wird träumerisch, und sie unterbricht sich. »Sorry.«
»Nein, hör nicht auf, das klingt schön.«
Sie sieht mich seltsam von der Seite an. »Manchmal habe ich das Gefühl, mich zu wiederholen.«
Ich stelle sie mir in einem kleinen Cottage in grüner Landschaft vor, weiß aber nicht so genau, was noch zu einem Bild von einer glücklichen Nina dazugehört.
»Und wie würdest du deine Abende in deinem englischen Dorf verbringen?«, frage ich sie und denke an die Poster in ihrem Schrank. »Dir ganz allein Horrorklassiker angucken oder was?«
Sie beäugt mich über den Rand ihrer Teetasse hinweg.
»Ich hab deine Sammlung gesehen. Du hast einen guten Geschmack.«
»Du … er hat sie mir gegeben.« Sie lächelt mich verhalten an. »Wir haben das oft gemacht – jede Woche ein neuer Horrorschinken. Wenn er uns gefiel, hat er irgendwo das Plakat aufgetrieben. Auf diese Weise habe ich mir ein solides Grundwissen über Splatterorgien und Zombies angeeignet.«
Ich nicke beeindruckt. »Ja, seine Zombies sollte man kennen. Aber warum hast du die Plakate nicht aufgehängt?«
»Früher war mein Zimmer damit tapeziert.« Das Lächeln zieht sich von ihren Lippen zurück.
Ich denke an ihre zellenartig kahlen Wände. »Nimm’s mir nicht übel, aber dein Zimmer ist ohne sie gruseliger.«
Sie schnaubt empört, aber das Schnauben geht in ein Kichern über. »Deswegen hat er sie ja gekauft.« In ihre Wangen kommt Farbe, als sie nicht aufhören kann zu glucksen, und das Lachen schafft es bis hinauf in ihre Augen. Es steht ihr gut.
Danach sagt eine Weile keiner von uns beiden etwas. Sie holt Milch aus dem Kühlschrank und rührt sie immer noch leise lächelnd in ihren Tee. Ich lehne mich entspannt auf meinem Stuhl zurück. Es war richtig herzukommen. Der Tee wird vielleicht nicht meinen Kummer und meine Probleme hinwegspülen, aber es tut mir gut, mit Nina zusammen zu sein.
Dann fällt mir wieder ein, weshalb ich hier bin, und ich beuge mich nervös zu ihr vor. Der schöne Moment ist vorbei.
»Warum könnt ihr euch nicht leiden, du und Viv?«, frage ich.
Nina reißt die Augen auf, zögert aber mit der Antwort.
»Warum fragst du das? Hat sie etwas gesagt?«
»Nein, es ist nur, na ja, es kam mir so vor.«
Ihr Löffel klappert beim Rühren laut gegen den Tassenrand, immer wieder. Ich wünschte, sie würde damit aufhören. So kann ich nicht denken. Ihr Rücken ist gerade, als würde sie gleich aufspringen, doch sie blickt starr in ihren Milchtee.
Ich nehme all meinen Mut zusammen, um zu fragen, was ich mir vorgenommen habe.
»Ist Viv dir schon mal ein bisschen … überspannt vorgekommen?«
Der Löffel fällt scheppernd auf den Tisch, dann hebt sie ihn wieder auf. »Könnte man wohl so sagen.«
Ich warte auf mehr, doch Nina sitzt nur da und lässt ihren Teelöffel über dem Becher schweben. Ich bekomme das Bild nicht aus dem Kopf, wie Viv mit wildem Blick auf der Tribüne herumwankt.
»Sie kriegt manchmal so Anfälle von Tollkühnheit«, sage ich.
»Hm, war sie nicht so, bevor …?«
»Bevor sie gestorben ist? Doch, aber es ist nicht dasselbe.« Ich überlege, worin der Unterschied liegt. »Sie hatte schon immer so etwas Draufgängerisches, aber das war toll, wir hatten viel Spaß zusammen. Jetzt ist das anders.«
»Inwiefern?« Ninas Züge sind eine ausdruckslose Maske für mich, und das macht mich verrückt. Vivs Gesicht spiegelt jede ihrer Gefühlsregungen wider. Zumindest weiß ich, was in ihr vorgeht, auch wenn ich nicht verstehe, warum. Nina dagegen wird sich nie offen über Viv äußern, das ist mir klar, aber es wäre schon eine Hilfe, wenn ich wüsste, wie sie zu ihr steht. Ich sehe ihr forschend ins Gesicht, doch sie zuckt nicht mal mit der Wimper.
»Heute Abend dachte ich, dass sie sich was antun würde.«
Nina sieht mich überrascht an. »Sich … was antun?«
»Ich wusste nicht, was ich machen sollte, Nina. Viv – meine Viv – hätte sich nie so benommen.«
Es laut auszusprechen löst einen Brechreiz in mir aus.
»Was hat sie gemacht?«, fragt Nina steif.
Ich winke ab und stütze den Ellbogen auf den Tisch. »Darauf kommt es nicht an. Es geht ihr gut. Verstehst du, ich will nur wissen, ob irgendetwas zwischen euch vorgefallen ist oder so.«
Ihre Augen werden schmal. »Wieso
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