Bis ich dich finde
sie gern zusammen, besonders im Sommertheater. Im
vergangenen Sommer waren sie mit Romeo und Julia in
einem kleinen Theater in den Berkshires aufgetreten. Die älteren, erfahreneren
Schauspieler hatten die Hauptrollen gespielt. Claudia war die Zweitbesetzung
für die Julia gewesen, aber der langweilige, flachbrüstige Roboter, der die
Julia spielte, verpaßte keine einzige Aufführung, nicht einmal eine Matinee.
Jack hatte es auf die Rolle des Romeo oder wenigstens die des Mercutio
abgesehen, doch weil er eine Ringerstatur hatte und wie ein Draufgänger wirkte,
ließ man ihn das aufgeblasene Arschloch Tybalt spielen.
Claudia machte ständig Fotos von ihnen; vielleicht dachte sie, wenn
es nur reichliche fotografische Beweise für ihre Beziehung gab, würden sie
zusammenbleiben. Sie hatte einen Apparat mit Selbstauslöser; sie stellte ihn
ein und rannte dann zu Jack, um mit [446] aufs Foto zu kommen. (Dieses zwanghafte
Fotografieren nährte in Jack manchmal den Zweifel, sie könnte ihn vielleicht
doch für die Liebe ihres Lebens halten.)
Nach ihrem Besuch bei Emma traten Jack und Claudia in einem Stück
von García Lorca – Bernarda Albas Haus – auf, das in
einem Sommertheater in Connecticut aufgeführt wurde. Das Stück spielt 1936 in
Spanien. Claudia und Jack hatten Frauenrollen. Jack hatte verdorbene Muscheln
gegessen und war einen ganzen Abend indisponiert. Das Stück wurde ohne Pause
gespielt. Die Regisseurin gab ihm den Rat: »Kneif die Arschbacken zusammen, und
trag einen längeren Rock.« Weit mehr Mitgefühl zeigte sie für seine
Zweitbesetzung, die eine Hefepilzinfektion hatte. (Das Ensemble bestand aus
neun Frauen und Jack.)
Er hatte Durchfall und schreckliche Darmkrämpfe. Bei einem
beunruhigend heftigen Anfall zuckte er so sehr zusammen, daß eine falsche Brust
aus dem BH rutschte. Es gelang ihm, sie mit dem
Ellbogen an die Rippen zu pressen. Claudia sagte ihm später, er habe ausgesehen
wie in einer Travestie der Ermordung des Autors im spanischen Bürgerkrieg. Jack
war froh, daß García Lorca seinen jämmerlichen Auftritt nicht hatte sehen
müssen.
»Was für eine lehrreiche Erfahrung!« lautete Mr. Ramseys Antwort auf
Jacks Brief, in dem jener die lange Nacht der verdorbenen Muscheln geschildert
hatte.
Miss Wurtz wäre stolz auf ihn gewesen: Noch nie zuvor hatte er sich
so punktgenau auf sein Einmannpublikum konzentriert. Er konnte seinen Vater
beinahe im Publikum sehen. (Jack fand, es sei das
ideale Stück für William: ausschließlich Frauen!)
In jenem Sommer waren Claudia und Jack Zweitbesetzungen für Cabaret, ihr erstes Musical. Jack war der Ersatz für den
Conférencier, einen Engländer, der Jack am Premierenabend riet, sich lieber
keine allzu großen Hoffnungen zu machen – er sei noch keinen Tag seines Lebens
krank gewesen. Doch Jack hielt ohnehin nicht viel von der Rolle des
Conférenciers. Er hätte eine [447] bessere Sally Bowles abgegeben als die Frau,
die diese Rolle schließlich bekommen hatte – er wäre sogar besser gewesen als
Claudia, ihre Zweitbesetzung.
Es hätte zuviel Rivalität in ihre Beziehung gebracht, wenn Jack für
die Rolle der Sally Bowles vorgesprochen und Claudia ausgestochen hätte. Einen
Monat lang sangen sie einander »Tomorrow Belongs to Me« und »Maybe This Time«
vor – in der Abgeschiedenheit des Schlafzimmers, wo alle Zweitbesetzungen
glänzen.
Aber er und Claudia wurden als Kit Kat Girls in Cabaret besetzt, so daß sie doch noch Gelegenheit bekamen, ihr Können vor einem
Publikum zu beweisen. Angesichts der spärlichen Kostümierung, ganz zu schweigen
von der Zeit und dem Schauplatz des Stücks – Berlin, Ende der zwanziger Jahre
–, war Jack ein recht offensichtlicher Transvestit, doch das Publikum liebte
ihn, und Claudia sagte, sie sei neidisch, weil er heißer aussehe als sie.
»Du solltest dich vorsehen, Jack«, warnte sie ihn. Es war der Sommer,
in dem sie beide zwanzig wurden. »Wenn du in Frauenkleidern noch besser wirst
als jetzt, kriegst du keine Männerrollen mehr.« (Unter diesen Umständen hielt
Jack es für besser, ihr nicht zu erzählen, wie gern er die Sally Bowles
gespielt hätte.)
Wie gut er sich später an diesen Sommer in Connecticut erinnern
konnte! Wenn Sally Bowles und die Kit Kat Girls »Don’t Tell Mama« und »Mein
Herr« sangen, sah er ins Publikum, in die Gesichter. Sie starrten ihn an, den Transvestiten im Kit-Kat-Girl-Kostüm, nicht
Sally Bowles. Sie konnten ihre Augen nicht von ihm abwenden. Jeder Mann
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