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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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hingen ausschließlich ihre eigenen Flashs, und ihre
Notizbücher waren voller Schablonen, in denen die Kunden während der Wartezeit
blättern konnten. Sie kochte Tee und Kaffee, und immer spielte Musik. Sie hielt
tropische Fische in hell beleuchteten Aquarien, in denen sie auch einige ihrer
Flashs ausgestellt hatte, so daß die Fische in einer Unterwasserwelt der
Tätowierungen zu leben schienen.
    »Dieses Studio ist ein Happening«, sagte Emma zu Claudia.
    Das wußte Jack, doch ihm war nicht aufgefallen, wie viele junge
Männer dort waren – vielleicht wollte er aber auch bloß nicht darüber
nachdenken. Der Gedanke an seine Mutter in Gesellschaft von Männern seines
Alters – oder gar jünger – hatte etwas Verstörendes. Jack fühlte sich weit
wohler, wenn er sie sich in Leslie Oastlers Armen vorstellte. Dort hatte sie
wenigstens sicher gewirkt, wenn auch nicht unbedingt glücklich.
    »Und was, glaubst du, hält deine Mutter von den jungen Männern
meiner Mutter, sofern es welche gibt?« fragte er Emma.
    »In erster Linie –«, begann Emma, hielt aber inne und fuhr dann,
mehr zu Claudia als zu Jack gewandt, fort: »In erster Linie glaube ich, meine
Mutter freut sich, daß Jacks Mutter kein Mann ist.«
    Es fiel Jack immer schwer, Emmas Urteil in Zweifel zu ziehen,
besonders wenn es seine Mutter und Mrs. Oastler betraf. Seit 1975, als er nach
Redding gegangen war, hatte sie mehr Zeit mit den beiden verbracht als er.
Toronto war nicht seine Heimat – nicht mehr.
    Alles, was er von Toronto kannte, waren Mrs. Wicksteeds altes Haus
an der Ecke Lowther Avenue und Spadina Road und die Gegend um St. Hilda in
Forest Hill. Gut – er kannte auch die Sporthalle an der Bathurst Street und das
wenige, was er von [439]  Mrs. Machados Wohnung aus vom Sir Winston Churchill Park
hatte sehen können, doch in der Innenstadt kannte er sich nicht gut aus, am
allerwenigsten in der Gegend von Dundas Street und Jarvis Street, wo das Studio
des Chinesen lag, und in der Queen Street West und im Daughter Alice, dem »Happening«
seiner Mutter, war er noch nie gewesen.
    Emma dagegen war eine echte Toronterin – selbst als sie in Iowa City
lebte, und auch später, in Los Angeles.
    Alice hatte Emma schließlich doch tätowiert. Jack konnte sich nicht
vorstellen, wie zäh sie hatte verhandeln müssen, nicht nur mit Alice, sondern
auch mit ihrer Mutter. Der Schmetterling, den Emma einst hatte haben wollen,
war durch ein anderes Motiv ersetzt worden: durch eine kleinere Version von
Alice’ berühmter Rose von Jericho.
    »Halt mir bloß keine idiotischen Predigten«, hatte Emma, wie sie
Jack erzählte, zu ihrer Mutter gesagt. »Wenn du mir damals diesen blöden
Schmetterling auf dem Knöchel erlaubt hättest, bräuchtest du dir heute keine
Vulva anzusehen.«
    Das Problem war, daß Emma die Vulva nicht verbergen wollte. Dies war
keine in einer Rose versteckte Blüte – dies waren die Blütenblätter einer sehr
erkennbaren Blume. Die Tätowierung war klein, aber sie stellte eindeutig eine
Vulva dar. (Ach, dachte Jack, wenn ich bei diesen Mutter-Tochter-Diskussionen
doch hätte Mäuschen spielen können!)
    Alice hatte der Tätowierung schließlich den Weg geebnet. »Es geht
auch darum, wohin du sie haben willst, Emma«, hatte sie gesagt. »Auf den Knöchel steche ich sie dir nicht.«
    Natürlich dachte Emma, wie sie sagte, »nicht im Traum« daran, sich
am Knöchel tätowieren zu lassen, und Alice tätowierte keine Frauen mehr am
Steißbein, seit sie in einer Zeitschrift gelesen hatte, daß Narkoseärzte
Frauen, die dort tätowiert waren, keine Epiduralanästhesie mehr gaben. (Das hatte
möglicherweise mit der Befürchtung zu tun, Farbpigmente könnten [440]  ins
Rückenmark gelangen, auch wenn das äußerst unwahrscheinlich war.)
    »Was ist, wenn du später mal ein Kind kriegst und eine
Epiduralanästhesie brauchst?« fragte Alice sie.
    »Ich werde keine Kinder kriegen«, antwortete Emma.
    »Das kannst du nicht wissen.«
    »Doch, das weiß ich, Alice.«
    »Trotzdem steche ich dir keine Vulva auf dem Steißbein.«
    Selbst Emma mußte zugeben, daß eine Vulva an dieser Stelle
verwirrend wirken würde. Alice erklärte sich jedoch bereit, sie an Emmas Hüfte
anzubringen, knapp verdeckt von ihrem Slip. Emma würde sie sehen können, ohne
in den Spiegel zu schauen, aber sie würde sie auch im Spiegel betrachten
können. »Auf welche Hüfte?« fragte Alice sie.
    Emma dachte nach, allerdings nicht lange. »Auf die rechte«, sagte
sie.
    Laut Emma

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