Bis ich dich finde
gesehen zu
haben«, sagte Claudia. »Er haßt Godard.« Jack bemühte sich, freundlicher als
Mifune auszusehen, und sei es nur, um die wie versteinerten Mädchen nicht noch
mehr zu verschrecken.
Die Schülerin, die Anne Frank spielte, wurde nach vorn geschoben, um
sich ihnen vorzustellen. Claudia starrte auf ihre flache Brust, doch Jack
bemerkte, daß die Ärmste so schreckliche Angst vor ihnen hatte, als wären sie
der lebendige Widerspruch zu Anne Franks berühmtesten Sätzen, die Claudia
auswendig kannte und (ohne einen Hauch von Sarkasmus) sogleich rezitierte: »›Es
ist ein Wunder, daß ich all meine Hoffnungen noch nicht aufgegeben habe, denn
sie scheinen absurd und unerfüllbar. Doch ich halte daran fest, trotz allem,
weil ich noch stets an das Gute im Menschen glaube.‹«
»Wunderbar!« rief Mr. Ramsey. »Vielleicht ein bißchen nüchtern für
Anne, aber wunderbar!«
»Wir müssen gehen«, erbarmte sich Claudia.
Die Mädchen sahen Jack und Claudia an, als hätte sie vor ihrer aller
Augen seinen Penis gehalten. Claudia sah Jack an, als könnte nicht einmal
Godards Maria und Joseph so unerträglich [453] langweilig sein wie diese Zeitreise zu den Schauplätzen seiner
Vergangenheit.
Jack spielte tatsächlich mit dem Gedanken, sich den Godard-Film
anzusehen, weil die Katholiken dagegen Sturm liefen und drohten, gegen die
Aufführung in Toronto zu protestieren. Doch Claudia gefiel Godard ebensowenig
wie Jack. ( Maria und Joseph war eine moderne Version
der Geschichte von der Geburt Christi, diesmal mit einer jungfräulichen
Tankwartin und einem Taxifahrer.)
In dieser Gemütsverfassung waren sie – Claudia war wütend auf Jack,
weil er sie zu seiner alten Schule geschleppt hatte, und Jack wünschte, er wäre
nicht (oder lieber allein) gekommen –, als er ihr die Kapelle zeigte und das
unvermittelte Erscheinen der Frau in Grau sie zusammenzucken ließ. Claudia
machte auf Mrs. McQuat einen solchen Eindruck, daß Jacks ehemalige Lehrerin die
beiden durch den Mittelgang zur vordersten Bank führte und darauf bestand, daß
sie sich setzten. Immerhin ließ sie sie nicht niederknien.
Claudia war nicht religiös und sagte Jack später, sie habe die
Buntglasfenster mit »diesen unterwürfigen Frauen, die Jesus bedienen« geradezu
beleidigend gefunden. Mrs. McQuat nahm Claudias und Jacks Hand und fragte sie
flüsternd, wann sie heiraten wollten. Daß beide noch Studenten waren, hatte die
Frau in Grau vollkommen übersehen. Sie hatte nur das Gerücht gehört, das sich
unter den Mädchen in St. Hilda wie ein Lauffeuer ausgebreitet hatte: Jack Burns
sei beim Filmfestival in Begleitung eines amerikanischen Filmstars – damit war
offenbar Claudia gemeint – gesehen worden. Er habe sie nach St. Hilda gebracht,
um ihr die Kapelle seiner alten Schule zu zeigen, denn dort, wo er ein so
prägendes Erlebnis gehabt habe, wolle er sie heiraten.
»Wir haben das eigentlich noch nicht so konkret besprochen«, sagte
Jack, der nicht wußte, wie er Mrs. McQuats Frage beantworten sollte.
[454] »Ich werde Jack niemals heiraten«, sagte Claudia zu der Frau in
Grau. »Ich werde niemals einen Mann heiraten, der keine Kinder haben will.«
»Herr im Himmel!« rief Mrs. McQuat aus. »Warum willst du… keine
Kinder haben, Jack?«
»Das wissen Sie doch«, sagte er.
»Er sagt, es hat was mit seinem Vater zu tun«, warf Claudia ein.
»Du hast doch wohl… nicht immer noch Angst, daß du… so wirst wie er,
Jack?«
»Der Verdacht liegt doch nahe.«
»Unsinn!« rief Mrs. McQuat. »Wollen Sie wissen… was ich glaube?« Sie tätschelte Claudias Hand. »Ich glaube, das
ist nur… eine Ausrede, damit er überhaupt nicht… heiraten muß.«
»Das glaube ich auch«, sagte Claudia.
Jack fühlte sich wie Jesus auf den Buntglasfenstern: Wohin er auch
ging in Toronto – überall taten sich Frauen gegen ihn zusammen. Er sah wohl
aus, als wolle er gehen, denn die Frau in Grau packte auf ihre energische Art
sein Handgelenk.
»Du willst doch nicht etwa… gehen, ohne mit Miss Wurtz gesprochen…
zu haben? Du lieber Himmel… sie wäre am Boden zerstört, wenn sie… erführe, daß
du hier warst, ohne mit ihr… gesprochen zu haben!«
»Aha.«
»Du solltest mit Caroline… zum Filmfestival gehen«, fuhr Mrs. McQuat
fort. »Sie ist zu schüchtern, um allein… hinzugehen.«
Die Frau in Grau war seit jeher die Stimme seines Gewissens. Später
schämte er sich, weil er ihr nie gesagt hatte, wie wichtig sie für ihn war. Er
hatte ihr nicht
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