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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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war die Tätowierung bereits als Vulva zu erkennen, als
Alice fragte: »Warum die rechte?«
    »Weil ich meist auf der linken Seite schlafe«, antwortete Emma. »Und
wenn ein Mann in meinem Bett liegt, will ich, daß er die Vulva sehen kann – die
Tätowierung, meine ich.«
    Emma sagte, Alice’ wohlüberlegte Antwort habe ihr gefallen, auch
wenn sie eine Weile darauf habe warten müssen. Jack konnte sich die Situation
genau vorstellen: Seine Mutter nahm den Fuß nicht vom Schalter, die Nadeln der
Maschine surrten unablässig und erzeugten einen Hagelregen aus Tinte und
Schmerz. Anfangs wollte Emma sich nicht festlegen, welche Musik im Hintergrund
gelaufen war. »Es könnte ›Mr. Tambourine Man‹ gewesen sein«, sagte sie.
     
    Though I know that evenin’s empire has
returned into sand,
Vanished from my hand,
Left me blindly here to stand but still not sleeping
[441]  My weariness amazes me, I’m branded on my feet,
I have no one to meet
And the ancient empty street’s too dead for dreaming.
    »Im Studio hingen die üblichen Gestalten herum«, erinnerte Emma
sich. Jack war sicher, daß diese Kerle sich ziemlich für Emmas nackte Hüfte
interessiert hatten, ganz zu schweigen von der entstehenden Tätowierung.
    »Wenn ich so darüber nachdenke… Es war Dylan, aber nicht ›Mr.
Tambourine Man‹, sondern ›Just Like a Woman‹«, erinnerte sich Emma plötzlich.
Auch das konnte sich Jack vorstellen.
     
    Ah, you fake just like a woman, yes, you do,
You make love just like a woman, yes, you do
Then you ache just like a woman
But you break just like a little girl.
    »Mal sehen, ob ich dich richtig verstanden habe, Emma«, sagte
Alice nach längerem Schweigen. »Wenn du mit einem Mann im Bett liegst, soll er
deine Tätowierung sehen können – auch wenn du schläfst?«
    »Kann sein, daß er mich vergißt, aber an die Tätowierung wird er
sich erinnern«, sagte Emma.
    »So ein Glückspilz«, sagte Alice. Emma hatte den Eindruck, daß ihr
Fuß im Takt des Lieds auf den Schalter drückte.
    »Meine Mutter ist ein Miststück, aber Alice wirst du lieben«, sagte
Emma zu Claudia. »Alle lieben Alice.«
    »Ich hab sie früher auch geliebt«, sagte Jack.
    Er ging hinaus, um einen Blick auf die Felder von Iowa zu werfen.
Sie erstreckten sich flach bis zum Horizont. Die Landschaft war vollkommen
anders als die bewaldeten Hügel von Maine oder New Hampshire. Emma folgte ihm
hinaus.
    »Na gut, ich hab gelogen – nicht jeder
liebt deine Mutter.«
    [442]  »Ich hab sie früher auch geliebt«, wiederholte er.
    »Laß uns ins Kino gehen, Zuckerbär. Laß uns mit Claudia ins Kino
gehen.«
    »Gut«, sagte Jack.
    Hätte er seinen Kopf gebraucht, dann hätte er vielleicht
vorausgesehen, welche Schwierigkeiten ein Kinobesuch mit Emma und Claudia aufwerfen würde. Es sah ihm gar nicht ähnlich,
daß er sich an diesen Film später nicht mehr erinnern konnte; er erinnerte sich
sonst auch an schlechte Filme. Doch in dem Augenblick, in dem er im Kino Platz
nahm, Claudia zur Linken und Emma zur Rechten, erkannte er das Problem, das
sich stellte: Welche von ihnen sollte seinen Penis halten? Alle Gedanken an den
Film waren mit einemmal verflogen.
    Emma, die Linkshänderin, legte ihre Hand als erste in Jacks Schoß;
kaum hatte sie den Reißverschluß geöffnet, als die Rechtshänderin Claudia nach
seinem Penis griff, den Emma aber bereits in der Hand hielt. Keiner wandte den
Kopf, alle drei starrten unverwandt auf die Leinwand. Claudia zog höflich die
Hand zurück, allerdings nur bis zur Innenseite von Jacks linkem Oberschenkel.
Emma schob in einer versöhnlichen Geste die Spitze des Penis in Claudias
Richtung, bis sie an ihrem Handrücken lag. Claudias Hand glitt wieder in Jacks
Schoß und umfaßte seinen Penis und Emmas Hand. Jack hatte eine zweistündige
Erektion.
    Nach dem Film gingen sie in eine Kneipe, um ein Bier zu trinken.
Jack trank eigentlich keinen Alkohol. Emma holte das Bier, doch das hätten auch
Jack oder Claudia erledigen können. Claudia war noch nie nach ihrem
Führerschein gefragt worden; obwohl sie erst neunzehn war, wirkte sie älter,
nicht wie eine Studentin. Und Jack hatte ebenfalls niemand nach seinem
Führerschein gefragt, seit er Yojimbo gesehen hatte.
Er war neunzehn, beinahe zwanzig, doch er hatte Toshiro Mifunes finster
mißbilligendes Gesicht geübt und trug meist eine Menge Gel im [443]  Haar. Emma
gefiel das, besonders der finstere Blick, doch Claudia beklagte sich gelegentlich
darüber, daß er sich nur

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