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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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eine Filmpremiere eignete, sie
kleiner machen. Es sah aus wie etwas, das Mrs. Adkins für den Theaterabend in
Redding gespendet hätte, dabei war der Stoff so dünn, daß man unwillkürlich an
Unterwäsche dachte, und das brachte Jack auf die Versandhaus-Unterwäsche, in
die er Miss Wurtz gekleidet hatte, wenn auch nur in Gedanken.
    »Mishima ist Japaner«, erklärte Jack.
    »Er war Japaner«, berichtigte ihn Claudia.
    »Er ist nicht mehr Japaner?« fragte Caroline.
    Sie konnten die Frage nicht mehr beantworten, denn der Film begann –
ein ästhetisch durchkomponiertes Werk, in dem Szenen aus Mishimas Leben (in
Schwarzweiß) mit Szenen aus seinen Büchern (in Farbe) gegengeschnitten waren.
Für den Schriftsteller Mishima hatte Jack nie besonders viel übrig gehabt, aber
als Verrückter gefiel er ihm. Mishimas ritueller Selbstmord im Jahr 1970 war
der dramatische Höhepunkt des Films.
    Die ganze Zeit hielt Miss Wurtz Jacks Hand. Er bekam davon eine
Erektion, die Claudia nicht entging. Claudia hielt nicht seinen Penis, ja ihre
Hand kam seinem Schoß nicht einmal nahe. Sie saß, die Arme unter ihrem üppigen
Busen verschränkt, da und zuckte nicht einmal, als Mishima sich den Bauch
aufschlitzte – eine Szene, bei der Miss Wurtz ihre Nägel in Jacks Handgelenk
grub. Im flackernden Widerschein der Leinwand betrachtete er die kleine,
angelhakenförmige Narbe an ihrem Hals, gleich über dem niedlichen Muttermal.
Miss Wurtz war so unnatürlich dünn, daß man an ihrem Hals, neben der Narbe,
einen Puls erkennen konnte, das Schlagen ihres Herzens. Es war ein Pochen, das
nur durch einen Kuß besänftigt werden konnte – nicht daß er es gewagt hätte,
Caroline Wurtz zu küssen. Auch nicht, wenn Claudia nicht neben ihm gesessen
hätte.
    [461]  »Du liebe Zeit!« rief Caroline, als sie das Kino verließen. (Sie
war so atemlos wie Mrs. McQuat, so begehrenswert wie Mrs. Adkins.) »Das war
ganz schön… ambitioniert !«
    Es war vier Uhr nachmittags, als sie draußen auf die Menge
demonstrierender Katholiken trafen, die sich vor dem falschen Kino eingefunden
hatten. Sie knieten auf dem Bürgersteig, und ihre unaufhörlichen »Gegrüßet
seist du, Maria« wurden mittels eines Ghettoblasters verstärkt. Jack begriff
sofort, daß die knienden Katholiken glaubten, er und die anderen Kinobesucher
hätten sich Godards Maria und Joseph angesehen, und
irrtümlich gegen Mishima anbeteten.
    Miss Wurtz war von diesem Spektakel nicht nur vollkommen überrascht,
sondern verstand auch nicht, daß es sich hier um ein Versehen handelte.
»Natürlich hat diese Selbstmordszene sie aufgebracht – das wundert mich gar
nicht«, sagte sie zu Jack und Claudia. »Ich wußte auch mal, warum die
Katholiken so sehr gegen Selbstmord sind, aber ich hab’s vergessen. Ich weiß
noch, daß sie sich über Graham Greenes Das Herz aller Dinge schrecklich aufgeregt haben. Aber ich glaube, bei Die Kraft
und die Herrlichkeit und Das Ende einer Affäre war es nicht anders.«
    Jack und Claudia wechselten nur einen Blick. Wozu sollten sie auch
nur ein Wort über den Godard-Film verlieren?
    Ein Fernsehreporter wollte sie interviewen, was Miss Wurtz
anscheinend völlig normal fand. »Was halten Sie von alldem?« fragte er Jacks
ehemalige Grundschullehrerin. »Von dem Film, von der ganzen Kontroverse?«
    »Ich fand den Film recht… dramatisch«, erklärte die Wurtz. »Er hatte
Überlänge und war stellenweise nicht leicht zu verstehen, und eigentlich fand
ich ihn eher interessant als gut. Der Kameramann war hervorragend, und die
Musik – nun ja, ob sie einem gefällt oder nicht, sie war jedenfalls
mitreißend.«
    Das war mehr, als der Reporter erwartet hatte; er interessierte sich
deutlich mehr für die knienden Katholiken und das [462]  unaufhörliche »Gegrüßet
seist Du, Maria« aus dem Ghettoblaster als für Mishima. »Aber
diese Demonstranten«, begann er, um Miss Wurtz (wie Journalisten es gern tun)
dazu zu bringen, das Geschehen ringsum zu kommentieren.
    »Ach, wen kümmert das schon?« sagte sie geringschätzig. »Wenn die
Katholiken Selbstmord als Sünde begreifen wollen – bitte. Ich kann mich
erinnern, daß sie schon einmal einen Riesentanz aufgeführt haben – damals ging
es um Fisch am Freitag.«
    Es würde in den 6-Uhr-Nachrichten gesendet werden. Alice und Leslie
Oastler saßen vor dem Fernseher, und mit einemmal war da, eingerahmt von Jack
und Claudia, Caroline Wurtz in ihrem blaß pfirsichfarbenen Kleid und
schwadronierte. Es war beinahe so

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