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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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komisch, wie Claudia als russischen Filmstar
auszugeben, und obgleich Caroline davon nichts ahnte, amüsierte auch sie sich
großartig.
    Die Kinobesucher, die sich Mishima angesehen hatten, zeigten wenig Verständnis dafür, daß sie von knienden
Katholiken mit Gebeten empfangen wurden – Mishimas Harakiri stand ihnen noch
vor Augen. (Auch Mishima selbst wäre nicht erbaut gewesen, dachte Jack; bei seinem
Selbstmord jedenfalls hatte er ziemlich ernst ausgesehen.)
    Claudia und Jack nahmen Miss Wurtz mit zu einer Party. Sie hatten
nie Probleme, bei Partys eingelassen zu werden, für die sie keine Einladung
hatten; die Türsteher hätten Claudia nicht einmal daran gehindert, die
Herrentoilette zu betreten. Claudia sagte immer, daß man sie einließ, weil Jack
wie ein Filmstar aussah, aber der wahre Grund war sie selbst. Diesmal aber
wurden sie wegen Miss Wurtz eingelassen. Sie verließen gerade eine Party, als ein
junger Mann mit schmachtendem Blick auf Caroline zuging. Er hatte aus einer
Vase auf der Bartheke eine Blume genommen und überreichte sie ihr. »Ich liebe
Ihre Arbeit!« sagte er und verschwand wieder in der Menge.
    »Ich muß gestehen, daß ich mich nicht an ihn erinnere«, sagte [463]  Miss Wurtz zu Jack. »Aber ich kann ja auch nicht jeden Drittkläßler
wiedererkennen, den ich unterrichtet habe«, fügte sie, zu Claudia gewandt,
hinzu. »Nicht jeder ist so beeindruckend wie Jack.«
    Claudia und Jack waren ganz sicher, daß der junge Mann nicht Miss
Wurtz’ Tätigkeit als Lehrerin gemeint hatte. Aber wie sollten sie das der Wurtz
erklären? Und warum sollten sie es überhaupt erklären?
    Unter den Fahrern der vor einem Restaurant wartenden Limousinen
erkannte Jack einen alten Freund. »Peewee!« rief er.
    Der riesige Jamaikaner stieg aus, umarmte Jack und hob ihn dabei in
die Luft. Die Katholiken nahmen an, Jack sei der Taxifahrer – also der Joseph –
aus dem Godard-Film, und demnach mußte Claudia die schwangere Tankwartin sein,
die moderne Verkörperung der Maria. (Weiß der Himmel, für wen sie Miss Wurtz
hielten.)
    »Jack Burns, du bist jetzt schon ein Star, Mann!« rief Peewee und
drückte ihn so fest an sich, daß Jack kaum noch Luft bekam.
    Jack und Claudia fanden die auf den Knien herumrutschenden
Katholiken irgendwie unheimlich, und Caroline hatte von ihrem religiösen Eifer
die Nase voll. »Warum gehen Sie nicht nach Hause und lesen seine Bücher?«
fragte sie eine der Knienden, eine junge Frau mit tränen- und
staubverschmiertem Gesicht. Jack konnte förmlich sehen, wie sie dachte: Jesus
war ein Schriftsteller?
    Die anderen Katholiken fuhren fort, das enervierende »Gegrüßet seist
Du, Maria« zu beten.
    »Schnell, steig ein, Jack«, sagte Peewee. Er hielt Claudia und Miss
Wurtz den Schlag auf.
    »Keine Sorge – das ist Mrs. Wicksteeds Fahrer, meine Liebe«, sagte
Miss Wurtz zu Claudia. (Als bräuchte Mrs. Wicksteed noch einen Fahrer!)
Claudias Oberschenkel wurden von einem knienden Katholiken umfaßt. »Lassen Sie
sie los, Sie dummer [464]  Mensch!« sagte Caroline zu ihm. »Verstehen Sie denn
nicht? Er hat sich umgebracht, weil er Leben und Kunst verschmelzen wollte.«
    Miss Wurtz meinte damit natürlich Mishima, doch der Katholik, der
Claudia widerwillig losließ, dachte, sie spreche von Jesus. Er war ein glatzköpfiger,
indigniert wirkender Mann mittleren Alters, der ein weißes, langärmliges Hemd
aus einem halb durchsichtigen Material trug. In der Brusttasche steckte ein
Kugelschreiber, der ausgelaufen war. Der Mann sah aus wie ein geistig
verwirrter Finanzbeamter.
    Peewee schob Claudia in die Limousine, doch Miss Wurtz stellte sich
der Menge der Knienden. »Er war Japaner und wollte sich umbringen«, sagte sie
und schnaubte. »Jetzt regt euch mal wieder ab!«
    Die Katholiken sahen allesamt aus, als könnte keine noch so große
Zahl von Gebeten eine solche Herabsetzung des unglücklichen Jesus
wiedergutmachen. Jesus ein Japaner?
    Jack legte seinen Arm um Miss Wurtz’ schmale Taille, als wäre sie
seine Tanzpartnerin. »Sie sind alle verrückt«, flüsterte er ihr zu. »Steigen
Sie ein.«
    »Du liebe Zeit, wie weltgewandt du geworden bist, Jack«, sagte sie
und bückte sich, um in der Limousine Platz zu nehmen. Claudia nahm ihre Hand
und zog sie in den Fond, Peewee schob Jack hinterher und warf die Tür zu.
    Eine der Demonstrantinnen hatte die Arme um Peewees Knie
geschlungen, doch als er einfach zur Fahrertür ging und sie mitschleifte,
überlegte sie es sich anders und ließ

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