Bis ich dich finde
los. Jack hatte keine Ahnung, wer der
wirkliche Filmstar war, dem die Limousine zur Verfügung stehen sollte, und
Peewee behauptete, er könne sich nicht erinnern, und fuhr erst Miss Wurtz und
anschließend Claudia und Jack nach Hause.
Jack hatte nie gewußt, wo Miss Wurtz wohnte, war jedoch nicht
überrascht, als Peewee vor einem großen Haus in der [465] Russell Hill Road hielt,
ganz in der Nähe von St. Hilda. Er wunderte sich nur, daß Miss Wurtz Peewee
bat, zum Hintereingang zu fahren, wo eine Außentreppe zu einer kleinen
Mietwohnung führte.
Woher hatte das Geld für ihre einst modische Garderobe gestammt?
Wenn sie es von ihrer Familie in Edmonton bekommen hatte, dann hatte sie es
inzwischen restlos ausgegeben. Hatte sie je einen Verehrer oder einen
heimlichen Geliebten mit gutem Geschmack gehabt? Wenn es je einen wohlhabenden
Freund – oder, was noch unwahrscheinlicher erschien, einen Ehemann – gegeben
hatte, so war er offenbar längst verschwunden.
Miss Wurtz wollte nicht, daß Jack sie bis in ihre bescheidene
Wohnung hinaufbegleitete. Möglicherweise hielt sie es für unschicklich, einen
jungen Mann dorthin mitzunehmen, doch sie bat Claudia hinein. Jack blieb mit
Peewee im Wagen sitzen und sah den Lichtschein einiger Lampen aufflammen.
Als Jack Claudia später drängte, ihm die Wohnung der Wurtz zu
beschreiben, wurde sie ärgerlich. »Ich hab nicht herumgeschnüffelt«, sagte sie.
»Sie ist eine ältere Frau – sie hat zuviel Zeug, irgendwelche Sachen, die sie
schon längst hätte wegwerfen sollen. Alte Zeitschriften und so.«
»Einen Fernseher?«
»Ich habe keinen gesehen, aber ich habe auch nicht darauf geachtet.«
»Fotos? Irgendwelche Fotos von Männern?«
»Herrgott, Jack! Bist du scharf auf sie oder was?« fragte Claudia.
Sie lagen in Emmas Bett, das seiner Stofftiere beraubt war –,
entweder Emma oder Mrs. Oastler hatten sie weggeräumt. Jack konnte sich an kein
einziges erinnern, während er die Erinnerung daran, daß Emma ihm in ihren Armen
und in ebendiesem Bett beigebracht hatte zu masturbieren, niemals aus seinem
Gedächtnis löschen konnte.
[466] Angesichts der Stimmung, in der Claudia war, beschloß er, ihr
dieses Detail zu ersparen.
Trotz der Partys und des Festivaltrubels verbrachten die beiden
den größten Teil ihrer Zeit im Daughter Alice – oder jedenfalls Claudia. Jack
flüchtete oft in den benachbarten Laden der Heilsarmee, dessen Kundschaft er
den meisten Verehrern seiner Mutter vorzog.
Aberdeen Bill war ein Matrosentätowierer gewesen – wie Charlie Snow
und Matrosen-Jerry, wie Tatovør-Ole und Tatoeërer-Pieter und Doc Forest. Aber
die Welt der Tätowierungen hatte sich verändert. Tochter Alice stach hin und
wieder noch ein »Des Mannes Verderben« oder ein gebrochenes Herz, das einen
Seemann auf großer Fahrt monatelang trösten kann, doch die jungen Männer, die
sich fürs Leben zeichnen lassen wollten, stellten auf ihren Körpern eine neue
Art von Vulgarität zur Schau.
Die Romantik der nördlichen Hafenstädte gehörte der Vergangenheit an
– ebenso wie das stete Surren von Alice’ Tätowiermaschine, das Jack in Schlaf
gelullt hatte. Ebenso wie die verwegenen Frauen im Hotel Torni: Ritva, deren
Busen er nie zu sehen bekommen hatte, und Hannele mit den unrasierten Achselhöhlen
und dem bemerkenswerten Muttermal – dem zerdrückten Zylinder über ihrem
Bauchnabel, der die Farbe eines Weinflecks und die Form Floridas gehabt hatte.
Früher war Jack so kühn gewesen, einfach zu irgendwelchen Leuten zu
gehen und sie zu fragen: »Haben Sie eine Tätowierung?« Im Restaurant des Hotels
Bristol hatte er zu der schönen jungen Frau gesagt: »Wenn Sie Zeit haben – ich
habe ein Zimmer und alles, was man braucht.« (Und seine Idee war es gewesen,
daß seine Mutter dem kleinsten Soldaten von allen eine Gratistätowierung machen
solle!)
Im Schlaf hörte Jack die gewaltige Orgel der Oude Kerk, die nachts
für die Prostituierten erklang. Selbst wenn er wach war, [467] konnte er, sobald
er die Augen schloß, das dicke, gewachste Seil und auf der anderen Seite den
glatten, hölzernen Handlauf der Wendeltreppe spüren.
Aber die Tätowierungen, die im Daughter Alice zu sehen waren,
erfüllten Jack (insbesondere in Claudias Gesellschaft) mit Scham über die
»Kunst« seiner Mutter, und viele ihrer Kunden, die anscheinend aus den unteren
Schichten der Queen Street stammten, waren ihm nicht geheuer. An die Stelle der
alten Matrosentätowierungen, diesen in Bilder
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