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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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den Rochester gespielt hatte. Jetzt, mit fünf
Zentimeter hohen Absätzen, war Connie nur einen halben Kopf größer als Jack.
»Du hältst mich doch sicher für einen gottlosen Kerl«, begann er.
    Auf dieses Stichwort nahm Connie seine Hand und küßte sie. Ihre
Lippen teilten sich, und sie berührte die Hand wie üblich mit Zähnen und Zunge
– nur gab es diesmal keinen Applaus. Alice und Mrs. Oastler sahen entgeistert
zu; sie kannten Jane Eyre offensichtlich nicht. Was
sie wohl dachten? Daß sich Jack mit Connie Turnbull zu einem Rendezvous nach der Trauerfeier verabredet oder womöglich in der Nacht davor mit ihr geschlafen hatte?
    »Gut gemacht, Jack«, flüsterte ihm Connie ins Ohr – ihr Haar duftete
schwach nach Hund, von dessen Atem, wie Jack ein rascher Blick zeigte, die
Scheiben ihres geparkten Wagens beschlugen.
    Ginny Jarvis war Gott sei Dank nicht da. Es war, als wäre die
Pistole, mit der er sie erschossen hatte – auf der Bühne, in Eine Braut auf Bestellung – scharf geladen gewesen. Doch er
war nicht auf die anderen Ehemaligen vorbereitet, die zu Ehren Emmas gekommen
waren. Oder doch? Viele von ihnen waren ihm unbekannt.
    »Es ist deinetwegen, Zuckerbär«, konnte er Emma mit ihrer heiseren
Flüsterstimme förmlich sagen hören. »Die alten Trutschen sind da, weil sie dich sehen wollen.« Vielleicht stimmte das ja. Wie war die
Anwesenheit von Jacks Klassenkameraden sonst zu erklären? Vier davon waren erschienen,
allesamt Mädchen.
    Die Booth-Zwillinge, Heather und Patsy, deren identische
Deckennuckelgeräusche in den Schrecknissen von Emma Oastlers
Einschlafgeschichten geboren worden waren, als sie zusammen die Vorschule
besucht hatten und Emma in der sechsten Klasse gewesen war – sie konnten
unmöglich aus Achtung vor [632]  ihrer früheren Peinigerin gekommen sein.
Desgleichen Maureen Yap, deren Ehename Jack immer wieder entfiel; bestimmt
wußte Maureen noch, wie Emma sie gedemütigt hatte.
    Wachsam wie ein Eichhörnchen in Gefahr, hatte sich Maureen einen
Platz im hinteren Teil des Mittelschiffs ausgesucht, falls sie plötzlich das
Bedürfnis verspüren sollte zu fliehen – vor einer eventuellen Anspielung Jacks
auf die Fledermaushöhle im Royal Ontario Museum vielleicht, ganz zu schweigen
davon, daß Jack sie an Emmas Geschichte von ihrem geschiedenen Dad erinnerte.
(»Er ist gerade ohnmächtig geworden, weil er zuviel Sex hatte.«)
    Es war Maureen Yap, die Emma gefragt hatte: »Was ist zuviel Sex?«
    »Nichts, was du je erleben wirst«, hatte Emma ihr verächtlich
geantwortet.
    Nach der Trauerfeier für Emma, bei »einer Art Leichenschmaus«, wie
Mrs. Oastler das Beisammensein in der Aula später bezeichnete, trat Maureen Yap
auf Jack zu. Eine Strähne ihres Haars hatte sich in ihren Mundwinkel verirrt,
wo auch ein Käsekrümel klebte. Kleine, auf Zahnstocher gespießte Cheddarwürfel
waren alles, was man an Essen reichte – sie wurden hinuntergespült mit
Weißwein, der laut Alice warm war, oder mit Mineralwasser, dem Jack »allenfalls
Zimmertemperatur« zugebilligt hätte.
    Ob es das Käsekrümelchen oder die Haarsträhne war – oder die
trostlose Gewißheit, daß Emma mit ihrer Prophezeiung, sie werde niemals zuviel
Sex erleben, unbestreitbar recht behalten hatte – jedenfalls war Maureen schwer
zu verstehen.
    »Ich habe den Tiger von Pam Hoover bekommen«, meinte Jack sie sagen
zu hören, während sie nervös ihren Wein verkleckerte.
    Er nahm einen Schluck lauwarmes Mineralwasser und überlegte, was
Maureen gemeint haben konnte. Sämtliche Frauen auf [633]  der Trauerfeier für Emma
– soweit Jack sie erkannte – hatten in ihren Schuluniformen besser ausgesehen.
Aber vielleicht hatte ja auch Jack damals besser ausgesehen. »Ich habe dich
offenbar falsch verstanden, Maureen«, antwortete er und trieb ihr damit Tränen
in die Augen.
    »Ich habe den Flieger von Vancouver genommen«, wiederholte Maureen
Yap. »Ich wohne im Four Seasons, unter meinem Mädchennamen.«
    Jack wohnte ebenfalls im Four Seasons – Ursache einer gewissen
Verstimmung zwischen ihm und seiner Mutter. Was Leslie Oastler davon hielt, daß
er sich in ein Hotel abgesetzt hatte, wußte er nicht genau. Vielleicht begriff
sie, anders als seine Mutter, warum er die Nacht nicht in Emmas Bett und auch
nicht in dem für ihn vorgesehenen Schlafzimmer verbringen wollte, wo Emma ihn
mehr als einmal in den Armen gehalten und Mrs. Machado ihn auf so
unauslöschliche Weise mißbraucht hatte.
    Daß sie beide ein Zimmer im

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