Bis ich dich finde
eigentlich warnen müssen – zumal
Alice sie gebeten hatte, »nur ein paar« von ihren alten Freunden zu
informieren.
Jack rief Jerry Swallow an – Matrosen-Jerry aus Alice’ Zeit in [691] Halifax, der mittlerweile allerdings nach New Glasgow in Novia Scotia
gezogen war. Eine Frau, möglicherweise Jerrys Ehefrau, nahm den Anruf entgegen.
Jack bat sie, Jerry auszurichten, daß Tochter Alice gestorben sei. Zu seiner
Überraschung fragte ihn die Frau, wo und wann die Trauerfeier stattfinde. Jack
nannte ihr die näheren Einzelheiten am Telefon – ohne zu ahnen, daß
Matrosen-Jerry und alle anderen erscheinen würden.
Tatovør-Ole und Tatoeërer-Pieter rief er nicht an – sie waren beide
schon tot. Tatoeërer-Theo stand nicht auf Alice’ Liste; wahrscheinlich war er
ebenfalls schon gestorben.
Doc Forest war der zweite Tätowierer, den Jack anrief. Doc wohnte
immer noch in Stockholm. Jack erinnerte sich an Docs Unterarme (wie die von
Popeye), an seinen ordentlich gestutzten Schnurrbart und die Koteletten und an
seine strahlenden, blinzelnden Augen. Er wußte auch noch, was Doc zu ihm gesagt
hatte, als Jack und seine Mom Schweden verließen. »Komm wieder, wenn du älter bist.
Vielleicht willst du dann eine Tätowierung.«
Doc erklärte mit Bedauern, er könne nicht zu Alice’ Trauerfeier
kommen, die Entfernung sei zu groß, aber er werde die traurige Nachricht
weitergeben. Daß er die weite Reise überhaupt in Erwägung gezogen hatte, war
bestimmt nur reine Höflichkeit. Er hatte Alice zuletzt bei einer
Tätowierertagung im Meadowlands in New Jersey gesehen. »Sie war eine Matrosin«,
sagte der ehemalige Matrose zu Jack, und seine Stimme versagte – vielleicht war
es aber nur die schlechte Verbindung.
Jack rief als nächstes Hanky Panky – Künstlername von Henk
Schiffmacher – im House of Pain in Amsterdam an. Schiffmacher hatte mehrere
Bücher geschrieben, darunter das berühmte 1000
Tätowierungen; viele Illustrationen daraus entstammten dem Tattoo Museum
im Rotlichtviertel. Alice hatte Hanky Panky für einen der besten Tätowierer der
Welt gehalten; sie hatte ihn bei zahlreichen Tätowierertagungen getroffen und
bei ihm und [692] seiner Frau in Amsterdam gewohnt. Henk Schiffmacher sagte, er
könne so kurzfristig leider nicht nach Kanada kommen. »Aber ich werde es
weitersagen«, meinte er. »Ich bin sicher, daß viele von den Jungs und Mädels
kommen.«
Erst später – genau gesagt, am Abend vor der Trauerfeier für Alice
in St. Hilda – erfuhr Jack von Leslie, daß sie noch drei andere Tätowierer
angerufen hatte. Alice hatte Leslie eine andere Liste gegeben, auf der
ebenfalls »nur ein paar« Leute standen, die sie anrufen sollte.
»Welche denn?« fragte Jack Mrs. Oastler.
»Mein Gott, Jack – ich kann mich unmöglich an ihre Namen erinnern.
Du weißt doch, was diese Leute für Namen haben.«
»Hast du Philadelphia-Eddie angerufen?« fragte Jack. (Crazy
Philadelphia-Eddie hätte eher gepaßt.) »Oder vielleicht Mao aus Madrid oder
Bugs aus London –«
»Es waren drei Leute«, teilte Leslie ihm mit. »Sie wohnen alle in
den Vereinigten Staaten. Sie haben alle gesagt, sie sagen es weiter.«
»Vielleicht Little Vinnie Myers?« meinte er. Oder Onkel Pauly,
stellte sich Jack vor – oder Armadillo Red. Er hatte sie nie kennengelernt,
aber er kannte ihre Namen.
»Was soll’s, sie kommen ja sowieso nicht«, sagte Mrs. Oastler, aber
es hörte sich an, als sei sie keineswegs sicher.
»Was ist los, Leslie?«
Mrs. Oastler erinnerte sich, was einer von ihnen sie gefragt hatte,
als sie ihm die traurige Nachricht mitteilte. »Wo findet die Party statt?«
hatte der Tätowierer sich erkundigt.
»Er hat Party gesagt?« fragte Jack sie.
»Was anderes kennen die doch gar nicht, Jack. Jedenfalls habe ich
den Eindruck, sie tun nichts anderes, als Partys zu feiern!«
Die Vorstellung ließ sie beide in dieser Nacht schlecht schlafen.
Gegen zwei Uhr morgens schlüpfte Mrs. Oastler zu Jack [693] ins Bett, aber sie
hatte keine Lust, seinen Penis in die Hand zu nehmen.
»Und wenn sie nun alle kommen?« flüsterte
Leslie, als ob Alice noch lebte oder sie irgendwie hören könnte. »Was machen
wir dann?«
»Dann feiern wir eine Party«, sagte er zu Mrs. Oastler, ohne recht
daran zu glauben, daß es dazu kommen könnte.
Am Morgen, während Leslie Kaffee machte, nahm Jack in der Küche
einen Anruf entgegen. Es war Bruce Smuck, ein Tätowierer aus Toronto und guter
Freund von Alice; seine Arbeiten hatten
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