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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Grand.
    Natürlich war Agneta Nilsson, Jacks Eislauflehrerin, nie mit Torsten
Lindberg verheiratet gewesen. (Wie Jack bald feststellen würde, war Lindberg
schwul, und zwar schon immer.) Agneta Nilsson hatte Kirchenmusik an der
Königlichen Musikhochschule in Stockholm unterrichtet, wo William ihr
Lieblingsstudent gewesen war. In seinem Schmerz über den Tod von Niels Ringhof
– ganz zu schweigen vom Ende seiner Verlobung mit [740]  Karin Ringhof, in die
William sehr verliebt gewesen war – hatte er Trost in den Armen der älteren
Frau gesucht.
    Falls William seinen Sohn in Stockholm sehen, das heißt nicht nur
zuschauen wollte, wie sich der Junge beim Frühstück den Bauch vollschlug, dann
mußte er ihm, so wollte es Alice, beim Eislaufen auf dem Mälarsee mit Agneta
Nilsson, Williams Geliebter, zusehen.
    »Wenn Sie Zeit haben – ich habe ein Zimmer und alles, was man
braucht«, hieß der Satz, den Jack auswendig gelernt hatte – auf englisch und
auf schwedisch. (»Om ni har tid, jag har ett rum och allt
som behövs.«)
    Wie ihnen Alice das Leben schwergemacht hatte – ihm und seinem
Vater. »Das alles geschah nur, um sie zu quälen – deinen Vater und die arme
Agneta, meine ich«, sagte Torsten Lindberg zu Jack, als sie sich zum Frühstück
im Grand trafen. »Und ich bin sicher, deine Mutter hat gewußt, daß Agneta ein
schwaches Herz hatte. Wahrscheinlich war es dein Vater, der es ihr gesagt hat –
zweifellos in aller Unschuld.«
    »Agneta ist gestorben ?« fragte Jack.
    »Sie ist tot, ja. Soll heißen, sie ist irgendwann gestorben. Es war
kein großes Drama – das heißt, es ist nicht auf dem Eis passiert. Ich
unterstelle nicht einmal, daß die ganze Schlittschuhlauferei ihren Tod
beschleunigt hat.«
    »Und der Geschäftsführer hier im Grand?« wollte Jack wissen.
    »Was ist mit ihm?« sagte Lindberg.
    »Hat er meine Mutter erpreßt?« fragte Jack.
    »So würde ich das nicht ausdrücken. Mit Sicherheit hat sie ihn
verführt – und sie war diejenige, die ihre Affäre an die große Glocke gehängt
hat«, klärte Torsten Lindberg ihn auf. »Um Schande über deinen Vater zu
bringen, vermute ich, aber Alice’ Beweggründe sind nie irgendeiner erkennbaren
Logik gefolgt.«
    Torsten Lindberg war ganz offensichtlich schwul, aber wie [741]  hätte
Jack das (mit vier) erkennen sollen? Der Buchhalter war nicht weniger dünn, als
Jack ihn in Erinnerung hatte, sein Appetit nicht weniger gewaltig. Jack selbst
aß ein bißchen mehr als sonst zum Frühstück. Das geschah nicht etwa aus
sentimentaler Erinnerung daran, wie er mit seiner Mutter hier gegessen hatte –
auf dem Präsentierteller, wie er nun sehen konnte –,
sondern weil er sich bewußt war, daß er für die Rolle des gescheiterten
Drehbuchautors und erfolgreichen Pornostars in Die
Schundleserin, auf die er sich Hoffnungen machte, ein bißchen zunehmen
mußte.
    Nach dem Frühstück – Jack war nach Erbrechen zumute – fragte er
Lindberg, ob er dessen Rose von Jericho sehen könne. Auf dieser Welt, glaubte
er, gab es ein paar Sachen, auf die er sich verlassen konnte, ein paar
Konstanten. Er wußte, wie die Rose von Jericho seiner Mutter aussah – darauf konnte
er doch sicherlich bauen.
    »Meine was ?« fragte Torsten Lindberg.
    »Fangen wir mit Ihrem Fisch an«, sagte Jack. »Wenn ich mich nicht
irre, haben Sie auf dem Unterarm eine japanische Tätowierung, einen Fisch.«
    »Ach so, mein ›Fisch auf dem Trockenen‹. Richtig!« rief Lindberg.
»Meine Tätowierungen meinst du. Aber ja, natürlich!«
    Sie gingen auf Jacks Zimmer im Grand. Jack wollte hauptsächlich die
Rose von Jericho seiner Mutter sehen. Und er wollte sich Lindbergs Doc Forest
anschauen. Den Klipper, einen Dreimaster, mit der unter dem Bug sich
hochkrümmenden Seeschlange– jenes Segelschiff auf Torsten Lindbergs Brust, die
Doc-Forest-Tätowierung, von der Alice gesagt hatte, sie sei besser als das
heimwärts fahrende Schiff auf dem Brustbein des verstorbenen Charlie Snow.
    Aber konnte Jack überhaupt noch irgend etwas glauben, was seine
Mutter ihm gesagt hatte? Wenigstens der Doc Forest war so, wie Jack ihn in
Erinnerung hatte. (Welcher Junge würde sich nicht an einen Klipper erinnern,
der von einer Seeschlange [742]  bedroht wird?) Was den Augapfel auf Lindbergs
linker Pobacke anging, so waren Jack dessen schwule Konnotationen beim ersten
Mal entgangen – ganz zu schweigen von dem Kußmund auf der rechten Pobacke, der
einem Lippenabdruck glich. Der Fisch auf Lindbergs Unterarm

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