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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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war fast genauso,
wie Jack ihn in Erinnerung hatte – er war eindeutig frei von schwulen
Andeutungen.
    Was Alice’ Rose von Jericho anging, so hatte Jack die fertige
Tätowierung nie gesehen – er hatte nur gehört, wie während der Entstehung
darüber gesprochen wurde. Es war natürlich keine Rose von Jericho. Was hätte
ein schwuler Mann auch mit einer in einer Rose verborgenen Vulva anfangen
sollen? Es war zwar eine Rose da, aber den Penis zwischen den Blättern dieser
ungebärdigen Blume hätte Jack nicht gerade als verborgen bezeichnet. Es war ein
Penis, der praktisch aus einer Rose hervorsprang !
    »Wie hast du die Tätowierung genannt?« fragte Torsten Lindberg.
    Jack hatte keine Ahnung, wie er sie nennen sollte – einen Penis von Jericho vielleicht, aber er hielt es für besser,
nichts zu sagen.
    Jacks vermeintliche Erinnerung an Torsten Lindbergs Tätowierungen
enthielt noch einen weiteren, unbedeutenderen Irrtum. Tatovør-Oles nackte Frau
– die mit der merkwürdig gewölbten Braue als Schamhaar. Es handelte sich zwar
um eine von Oles nackten Frauen – soviel konnte Jack sehen –, aber sie hatte
ebenfalls einen Penis.
    »Ich habe alle deine Filme gesehen – ich kann dir gar nicht sagen,
wie oft«, sagte Torsten Lindberg zu Jack. »Ich möchte dich nicht dadurch in
Verlegenheit bringen, daß ich dir sage, was meine Freunde immer über dich
sagen. Sagen wir einfach, sie lieben dich als
weiblichen Typ!«
    Im Grand wachte Jack jeden Morgen von den Schiffssirenen auf–
der Pendlerverkehr von den Schären. An einem solchen Morgen ging er zum Mälarsee.
Wie der Kastelsgraven war auch dieser [743]  nicht zugefroren – nicht im April –,
aber man konnte sich vorstellen, wo William gestanden haben könnte, um
zuzusehen, wie sein Sohn mit Agneta Nilsson, seiner Geliebten mit dem schwachen
Herzen, Schlittschuh lief.
    Was Doc Forests Studio anging, so war die Atmosphäre dort freundlich
und vertraut.
    Jack hatte nie ein Foto seines Vaters gesehen. Er wußte nur, daß
William für Frauen gut aussah, aber das war nicht das gleiche wie eine
Beschreibung seines Äußeren. Doc Forest war der erste, der Jacks Vater
tatsächlich beschrieb. »Er hatte schulterlanges Haar«, sagte Doc. »Er bewegte
sich wie ein Sportler, sah aber aus wie ein Rockstar – nur besser gekleidet.«
    Torvald Torén hatte bereits gewisse Zweifel an der Tätowierung
geweckt, die William angeblich von Doc Forest bekommen hatte – ein Stück von
Pachelbel, hatte Alice gesagt. (Sie hatte vermutet, daß es sich um ein Stück
mit dem Titel Hexachordum Apollinis handelte und von
einer Aria quarta oder einer Tokkata gesprochen.)
    »William hat natürlich einiges von Pachelbel gespielt«, hatte Torén
zu Jack gesagt. »Aber die Tätowierungen deines Vaters habe ich nie gesehen.«
Mads Lindhardt hatte ihm das gleiche gesagt, nicht was Pachelbel, sondern was
Williams Tätowierungen anging.
    Tätowierer hatten die Tätowierungen des Musikmannes gesehen – und
sicherlich auch die Frauen, mit denen William geschlafen hatte. Aber mindestens
zwei Organisten – gute Bekannte, die ihm gewogen gewesen waren – hatten seine
Tätowierungen nie zu Gesicht bekommen. Seltsam, daß sein Vater sie ihnen nicht
gezeigt hatte, fand Jack.
    Und da so vieles von dem, was Alice ihm erzählt hatte, Blödsinn
gewesen war, war Jack, als er Doc Forest besuchte, darauf gefaßt, daß womöglich
auch die Pachelbel-Tätowierung seines Vaters Blödsinn war.
    [744]  Doc verzapfte keinen Blödsinn. Er freue sich, Jack wiederzusehen,
sagte er; er habe alle seine Filme gesehen, auch die, in denen Jack halb nackt
zu sehen sei. Er habe sich gefragt, wann Jack sich tätowieren lassen werde. Daß
der Sohn von Tochter Alice zu Doc Forest komme, um sich tätowieren zu lassen,
sei ihm eine Ehre.
    Jack erklärte, er sei nicht gekommen, um sich tätowieren zu lassen.
    Man merkte Doc das Alter nicht an: Er war immer noch klein und
kräftig, und sein dunkelblondes Haar war noch nicht ergraut. Für einen
ehemaligen Matrosen, der seine erste Tätowierung in Amsterdam von
Tatoeërer-Pieter bekommen hatte, sah Doc Forest großartig aus.
    Doc sagte kein böses Wort über Alice – die alten Hasen hielten
zusammen –, aber er hatte auch Jacks Vater gemocht. Er war sogar zur Hedvig
Eleonora gegangen, um William spielen zu hören.
    »Ich habe mich gefragt, ob du dich noch an die Tätowierung
erinnerst, die du ihm gemacht hast. Vielleicht hast du ihm ja auch mehr als
eine gemacht«, sagte Jack.

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