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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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als habe der bloße
Gedanke daran, was Jack Burns in Helsinki wohl recherchieren mochte, ihre erste
Wehe ausgelöst. Die Hälfte der Frauen entfernte sich. Nun, da das Rätsel gelöst
war, verloren sie das Interesse. Aber die Aerobic-Trainerin und zwei andere
blieben noch, darunter auch die mit dem dicksten Bauch.
    »Was recherchieren Sie denn?« fragte ihn die Aerobic-Trainerin.
    »Es geht um eine Geschichte, die in der Vergangenheit spielt – vor
achtundzwanzig Jahren, um genau zu sein«, sagte Jack zu ihnen. »Sie handelt von
einem Kirchenorganisten, der süchtig danach ist, sich tätowieren zu lassen, und
von der Frau, deren Vater ihm die erste Tätowierung gemacht hat. Die beiden
haben zusammen ein Kind. Von dem, was damals passiert ist, gibt es mehrere
Versionen – jedenfalls ist die Beziehung gründlich schiefgegangen.«
    »Sind Sie der Organist?« fragte die mit dem dicksten Bauch.
    »Nein, ich bin das Kind – als Erwachsener, achtundzwanzig Jahre
später«, sagte er. »Ich versuche herauszufinden, was sich wirklich zwischen
meiner Mutter und meinem Vater abgespielt hat.«
    Die Schwangere, die bisher stumm geblieben war, sagte: »Was für eine
deprimierende Geschichte! Ich weiß nicht, warum solche Filme gedreht werden.«
Sie drehte sich um und ging weg, wahrscheinlich zum Umkleideraum. Die mit dem
dicksten Bauch watschelte ihr hinterher. Jack blieb mit der Aerobic-Trainerin
allein.
    »Sie haben nicht gesagt, daß Sie für einen Film recherchieren,
oder?« fragte sie ihn.
    [788]  »Nein«, gab er zu. »Das ist keine
Recherche für einen Film.«
    »Vielleicht brauchen Sie eine Führerin«, sagte sie. Sie war
mindestens im siebten, wahrscheinlich schon im achten Monat. Ihr Bauchnabel
hatte sich nach außen gestülpt; wie eine steife Brustwarze zeichnete er sich
durch den elastischen Stoff ihres Gymnastikanzugs ab. »Ich wollte sagen, ein Date. «
    »Ich hatte noch nie ein Date mit einer Schwangeren«, sagte Jack.
    »Ich bin nicht verheiratet – ich habe noch nicht mal einen Freund«,
erklärte sie. »Das Baby ist so etwas wie ein Experiment.«
    »Etwas, was Sie ganz allein zustande gekriegt haben?« fragte er.
    »Ich bin zu einer Samenbank gegangen«, antwortete sie. »Ich hatte
einen anonymen Samenspender. Irgendwie vergesse ich das mit der Insemination
immer.«
    In Rückenlage auf dem Bauchtrainer traf Jack eine jener übereilten
Entscheidungen, die seit jeher sein Sexualleben bestimmt hatten. Weil er sich
einbildete, er wolle mit irgendeiner Schwangeren
zusammensein, verfiel Jack auf die schwangere Aerobic-Trainerin im
Motivus-Fitness-Studio, ohne auch nur zu versuchen, sich mit Hannele und Ritva,
dem lesbischen Paar, dessentwegen er überhaupt erst nach Helsinki gekommen war,
zum Essen zu verabreden.
    Vor sich selbst rechtfertigte er das damit, daß er aller
Wahrscheinlichkeit nach ohnehin schon wußte oder erraten konnte, was von der
Organistin und der Cellistin zu erfahren war. Die beiden waren ein Paar
gewesen, als seine Mutter und sein Vater sie kannten, und sie waren es noch
immer. Seine Mutter hatte sie ihm irgendwie falsch dargestellt; sie hatten mit ihr geschlafen, nicht mit seinem Vater. Natürlich würden
sich noch andere Enthüllungen dieser Art ergeben, aber nichts, was nicht bei
Kaffee oder Tee gesagt werden könnte, nichts, was so heikel war, daß [789]  man
sich zum Essen verabreden mußte, damit es ausgesprochen werden konnte.
    Jack beschloß, sich ungefähr zu der Zeit, zu der Hannele und Ritva
mit Proben aufhören würden, zur Kirche im Felsen zu begeben. Er würde
vorschlagen, irgendwohin zu gehen und sich ein bißchen zu unterhalten; bestimmt
würde das genügen. Er sah keinen Grund, seine letzte Nacht in Helsinki nicht
mit einer schwangeren Aerobic-Trainerin zu verbringen. Wie sich herausstellen
sollte, gab es doch einen Grund, aber Jack folgte einem übermächtigen Instinkt,
der viel zu vielen Männern vertraut ist. Das Verlangen, mit einer bestimmten Art von Frau zusammenzusein, verhinderte, daß er die
Aerobic-Trainerin, die Marja-Liisa hieß, genauer unter die Lupe nahm oder sich
eingehender mit ihr beschäftigte.
    Sie verabredeten sich miteinander, was etwas peinlich war, weil sie
sich am Empfang Stift und Papier geben lassen mußten und dabei von anderen
Leuten beobachtet wurden. Marja-Liisa schrieb ihm ihren Namen und ihre
Handynummer auf. Was Jack ihr aufschrieb – Jimmy Stronach,
Hotel Torni – verwirrte sie sichtlich, bis er ihr erklärte, er trage
sich stets unter dem

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