Bis ich dich finde
körperlich nicht so einschüchternd, wie sie ihm mit vier erschienen waren.
[792] »Du warst die erste Frau mit unrasierten Achselhöhlen, die ich je
gesehen habe«, sagte er zu Hannele. Das erstaunliche Haar in Hanneles
Achselhöhlen war von dunklerem Blond gewesen als das Haar auf ihrem Kopf.
Allerdings ließ Jack dieses Detail ebenso unerwähnt wie das Muttermal über
Hanneles Nabel, das einem zerknautschten Zylinder in der Farbe eines Weinflecks
glich und die Form Floridas hatte.
Hannele lachte. »Die meisten Menschen erinnern sich an mein
Muttermal, nicht an meine Achselhöhlen.«
»An das Muttermal erinnere ich mich auch«, sagte Jack.
Ritva war nach wie vor klein und pummelig, mit langen Haaren und
einem hübschen Gesicht. Sie kleidete sich noch immer ganz in Schwarz, wie eine
Schauspielschülerin. »Ich weiß noch, wie du eingeschlafen bist, Jack – wie sehr
du dich bemüht hast, wach zu bleiben!« sagte Ritva zu ihm.
Er erklärte, er habe damals geglaubt, sie ließen sich jeweils ein
halbes Herz tätowieren, weil sie beide mit seinem Vater geschlafen hätten.
»Mit William !« rief Hannele und
verschüttete ihren Tee. Ritva kam aus dem Lachen gar nicht mehr heraus.
Sie gehörten zu den lesbischen Frauen, die sich so wohl miteinander
fühlten, daß sie ganz unbefangen mit ihm oder mit anderen jungen Männern
flirten konnten, weil sie überzeugt davon waren, daß man sie nicht mißverstehen
würde.
»Eigentlich dürfte mich das nicht wundern«, sagte Hannele. »William
hat uns gesagt, deine Mutter sei imstande, dir alles mögliche einzureden, Jack.
Ritva und ich haben unterschätzt, wie weit sie gehen würde.«
Ihre Beziehung zu Ritva, erklärte Hannele, sei neu und noch
ungefestigt gewesen, als seine Mutter sie beide angesprochen habe; sie hätten
sogar erwogen, mit Alice zu schlafen, um ihre Beziehung gewissermaßen auf die
Probe zu stellen.
»Das war 1970«, sagte Ritva, »und Hannele und ich waren [793] noch so
jung, daß wir uns eingebildet haben, man könnte jede Beziehung als Experiment
angehen.«
Was Alice anging, habe William sie gewarnt und ihnen Alice’
Geschichte erzählt. Doch sie hätten sich eingebildet, sie könnten einander
nicht weh tun, wenn sie beide einander mit Jacks
Mutter »untreu« würden.
»Es hat uns mehr weh getan, als wir erwartet hatten«, sagte Hannele
zu Jack. »Wir haben beschlossen, es deiner Mutter heimzuzahlen. Die gemeinsame
Tätowierung war ein Symbol dafür, wie sehr wir einander weh getan hatten – eine
Mahnung, einander nicht noch einmal untreu zu sein, eine Mahnung daran, was es
uns gekostet hatte, mit deiner Mutter zu schlafen. Und wir haben sie wissen
lassen, daß wir beide verwegen genug sind, mit jedem zu schlafen – sogar mit
William.«
»Natürlich hätten wir niemals mit William geschlafen, Jack – nicht
daß dein Vater je mit einer von uns hätte schlafen wollen«, sagte Ritva. »Aber
deine Mutter reagierte extrem empfindlich auf Leute, mit denen dein Vater
womöglich schlafen könnte, und es war nicht schwer, sie zu überzeugen, daß
Hannele und ich völlig zügellos waren.«
»Sogar mit dir haben wir geflirtet, Jack – bloß um sie zu ärgern«,
sagte Hannele.
»Ja, daran kann ich mich noch erinnern«, sagte Jack.
Das Herz, dessen Hälften sie sich hatten tätowieren lassen, war
senkrecht entzweigerissen; beide trugen sie ihr Herz auf der linken Brust.
»Du hast berückende Wimpern, Jack«, hatte Hannele zu ihm gesagt.
Unter der Bettdecke hatten ihre langen Finger das Oberteil von Jacks
Schlafanzug hochgeschoben und seinen Bauch gestreichelt. Als sie dann neben ihm
schlief, hätte er sie beinahe geküßt.
»Schlaf weiter, Jack«, hatte seine Mutter zu ihm gesagt.
»Erzählt mir von der Sache mit den ›süßen Träumen‹«, bat [794] Jack die
beiden Frauen in ihrer schönen Wohnung. Draußen wurde es langsam dunkel. Durch
die Kuppel der Kirche im Felsen schimmerten Lichter, als brenne ein Feuer
Löcher in eine Eierschale. (Jack erinnerte sich noch, daß er geglaubt hatte,
»süße Träume« sei etwas, was sein Vater wahrscheinlich zu allen seinen
Freundinnen sagte.)
»Er ist keine vier mehr«, sagte Ritva zu Hannele, die den Kopf
schüttelte. »Na los, sag’s ihm.«
»Das hat uns deine Mutter ins Ohr geflüstert, bevor sie uns da unten
geküßt hat«, sagte Hannele und wich Jacks Blick aus.
»Aha.«
Ritva hatte Jack »süße Träume« gewünscht, bevor sie ihm einen
Gutenachtkuß gegeben hatte. »So sagt man doch,
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