Bis ich dich finde
Roland, fand Jack.)
[860] Dr. García trug keinerlei Ringe und so gut wie keinen anderen
Schmuck. Entweder war sie verheiratet und hatte mehr Kinder, als Jack auf den
Fotos in ihrer Praxis zählen konnte, oder sie entstammte einer entsetzlich
großen Familie und hatte sich deshalb entschieden, selbst nie zu heiraten und
eigene Kinder zu haben.
In dem zum Scheitern verurteilten Bemühen, dieses Rätsel zu lösen,
sagte Jack, der sich dabei besonders schlau vorkam: »Vielleicht sollten Sie mich zur Preisverleihung begleiten, Dr. García. Bei
einem derart stressigen Ereignis kann man eine Therapeutin wahrscheinlich
besser gebrauchen als eine Hautärztin, meinen Sie nicht?«
»Man läßt sich nicht privat von seiner Therapeutin begleiten«, sagte
Dr. García.
»Aha.«
»Das ist ein Wort, das Sie viel zu häufig gebrauchen«, sagte Jacks
Therapeutin.
Der distinguiert wirkende ältere Herr auf Dr. Garcías Familienfotos
hatte etwas Distanziertes an sich, als zöge er sich aus einer immer
wiederkehrenden Auseinandersetzung zurück, noch ehe sie richtig angefangen
hatte. Er schien dem Lärmen der stets gegenwärtigen Kinder auf den Fotos weit
entrückt: Fast war es so, als könne er sie gar nicht hören. Vielleicht hatte
Dr. García einen viel älteren Mann geheiratet oder einen Gehörlosen. Jacks
Therapeutin war eine sehr starke Frau. Wahrscheinlich hatte sie für die
Konvention des Ringwechsels nur Verachtung übrig.
Richard Gladstein hatte sie Jack empfohlen. »Sie kennt sich mit
Schauspielern aus«, hatte er gesagt. »Sie wären nicht ihr erster Filmstar.«
Damals war dieser Gedanke tröstlich gewesen. Doch Jack hatte niemals
eine Berühmtheit in ihrem Wartezimmer gesehen, weshalb er sich fragte, ob sie
bei den berühmteren Filmstars unter ihren Patienten Hausbesuche machte. Sie
nach ihrem Wartezimmer zu beurteilen, ergab allerdings ein eher verwirrendes [861] Bild. Es kamen viele junge, verheiratete Frauen, und einige davon hatten
kleine Kinder dabei. In einer Ecke des Wartezimmers gab es Spielzeug und
Kinderbücher, was einem den beunruhigenden Eindruck vermittelte, man befinde
sich bei einem Kinderarzt. Die jungen verheirateten Frauen, die ihre Kinder
dabeihatten, brachten stets eine Freundin oder ein Kindermädchen mit. Diese
beaufsichtigten dann die Kinder, während die jungen Mütter zur Therapie in Dr. Garcías
Sprechzimmer gingen.
»Sind Sie als Patientin hier, oder passen Sie auf ein Kind auf?«
fragte Jack einmal eine der Frauen. Wie Dr. García trug sie keinen Ehering.
»Wollen Sie mich anbaggern oder was?« fragte die junge Frau zurück.
Um ein Haar hätte Jack sie gefragt, ob sie ihn zur Preisverleihung
begleiten wolle, doch der Gedanke daran, was Dr. García wohl dazu sagen würde,
bremste ihn.
»Mit wem soll ich denn nun zur Preisverleihung gehen?« hatte er
seine Therapeutin gefragt.
»Bitte verwechseln Sie mich nicht mit einer Kontaktbörse, Jack.«
So blieb Jack weiter ohne Begleiterin für die Preisverleihung.
Zusätzlich zu seinen beiden Nominierungen waren Lucia Delvecchio in der
Kategorie Beste Schauspielerin, Wild Bill Vanvleck in der Kategorie Bester
Regisseur und Richard Gladstone als Produzent in der Kategorie Bester Film
nominiert worden.
Kein Mensch glaubte, daß Lucia eine Chance hatte. Sie trat gegen
wirklich starke Konkurrenz an – Meryl Streep, Julianne Moore und Annette Bening
–, und außerdem war es Hilary Swanks Jahr. (Als Gelegenheitstransvestit war
Jack ein großer Fan von Hilary in Boys Don’t Cry. )
Und Richard Gladstein wußte von vornherein, daß Die
Schundleserin in der Kategorie Bester Film nur als Außenseiter antrat.
(Der Oscar ging an American Beauty. )
[862] William Vanvleck freute sich einfach nur, dabeizusein. Keine
einzige Kritik von Die Schundleserin bezeichnete ihn
als Remake Monster. Der Verrückte Holländer gehörte beinahe dazu, allerdings
nicht genug, um als bester Regisseur in Frage zu kommen. In jenem Jahr waren
ein paar ziemliche Schwergewichte nominiert. (Gewinnen sollte Sam Mendes:
erneut American Beauty. )
Jack hatte auch keine realistische Chance, in der Kategorie Bester
Nebendarsteller zu gewinnen – dort gewann Michael Caine. (Jacks Rolle als
netter Pornodarsteller war zwar sympathisch, aber so sympathisch nun auch
wieder nicht.)
Er wußte lange vor dem Abend der Preisverleihung, daß der Film noch
am ehesten in der Kategorie Bestes Drehbuch nach einer Romanvorlage – Emmas
Drehbuch, wie er es bei sich immer nannte –
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