Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Fenster
heruntergedreht und den Demonstranten zugerufen: »Geht heim, guckt euch einen
Film an und holt euch einen runter! Dann geht’s euch besser!«
    »Mein Gott, es ist schon Sonntagmorgen«, verkündete die Wurtz,
als sie und Jack im Four Seasons in Beverly Hills am Pool [873]  frühstückten. »Und
du bist mit deiner Geschichte bis Oslo gekommen, wenn ich mich recht entsinne.
Wahrscheinlich ist es am besten, wenn du nicht versuchst, Ingrid Moes
Sprachbehinderung nachzuahmen. Erzähl mir einfach, was sie gesagt hat, und zwar
so, wie du es normalerweise sagen würdest, Jack. Die Sprachbehinderung lenkt zu
sehr ab.«
    Kaum verwunderlich, daß Jack auch Dr. García die Geschichte auf
diese Weise erzählte, als es soweit war. Er machte keinen Versuch, Ingrids
Gebrechen auch nur andeutungsweise darzustellen. (Wie er Dr. García kannte,
hätte sie jeden Versuch von ihm, die Sprachbehinderung wiederzugeben, als
bloßen Einschub bezeichnet.)
    So schilderte er Ingrids Vorstellung von der Hölle, als wäre er
tatsächlich dort gewesen und lieferte nun einen persönlichen Bericht. Besonders
betonte er Ingrids Unversöhnlichkeit gegenüber seiner Mutter, eine
Unversöhnlichkeit, die in scharfem Gegensatz zur Bereitschaft seines Vaters
stand, Alice alles zu verzeihen, sogar das, was sie sich in Amsterdam geleistet
hatte. Von diesem Teil der Geschichte war Jack an jenem Morgen in Beverly Hills
noch weit entfernt. Er hatte das sichere Gefühl, daß er und Miss Wurtz nicht
bis Amsterdam kommen würden, jedenfalls nicht vor der Preisverleihung, die am
Spätnachmittag beginnen würde.
    Weil er schon einmal bei der Oscarverleihung gewesen war, wußte er,
daß ihnen eine lange Nacht bevorstand. Miss Wurtz, die einen breitkrempigen
Strohhut trug und von Kopf bis Fuß mit mehr Sonnencreme eingeschmiert war als
ein Neugeborenes, bedrängte Jack um Einzelheiten über Helsinki. Mit Oslo und
Ingrid Moe hatte sie eindeutig keine Geduld mehr, obwohl Williams Erscheinen im
Bristol sie elektrisierte. Besonders freute sie sich darüber, daß William sich
die Haare nicht geschnitten hatte.
    »William hatte wunderschönes Haar. Du hast sein Haar, Jack«, sagte
Caroline und nahm seine Hand. »Ich bin ja so froh, daß du [874]  das Haar nicht
kurzgeschnitten trägst, so wie es heutzutage jeder tut. Ehrlich gesagt, spielt
es keine Rolle, ob lange Haare für Männer in Mode sind oder nicht. Wenn man
schöne Haare hat, soll man sie wachsen lassen.«
    Der in Helsinki spielende Teil der Geschichte nahm die wenigen
privaten Stunden in Anspruch, die ihnen an diesem Sonntag noch blieben. Erica
Steinberg hatte geschickterweise dafür gesorgt, daß jemand ins Hotel kam, um
Miss Wurtz die Haare zu machen. »Was immer machen bedeutet«, flüsterte die Wurtz Jack zu, ehe sie nach dem Lunch mit Erica
wegging. »Jedenfalls lasse ich es grau – soviel weiß ich. Für mich ist es zu
spät, um noch eine Blondine zu werden. Außerdem gibt es schon genug Blondinen,
besonders hier draußen.«
    Jack ging in den Fitness-Raum, der neben dem Pool lag. Sigourney
Weaver war da. (Er reichte ihr bis zum Schlüsselbein.) »Viel Glück heute abend,
Jack«, sagte sie.
    Das war der Moment, in dem er nervös zu werden begann, der Moment,
in dem ihm klar wurde, daß es ihm alles bedeutete, zu gewinnen.
    »Es ist durchaus möglich, Jack«, sagte Dr. García ihm später, »daß
die Verleihung des Oscars ein kleiner Trost für das war, was Sie verloren
haben.«
    Sie meinte nicht nur seinen Vater. Sie meinte auch nicht nur Emma.
Sie meinte Michele Maher, und zwar ungeachtet ihrer Einschätzung der
»unrealistischen Erwartungen«, mit denen Jack die Beziehung zu Michele
überfrachtet habe; sie meinte Jacks falsche Erinnerungen, die Kindheit, die
seine Mutter für ihn erfunden und die er ebenfalls verloren hatte. (Und sie
meinte natürlich auch seine Mutter.)
    Erica fuhr mit Jack und Miss Wurtz in der Limousine zum Shrine
Auditorium. Sie sahen die Demonstranten vom Vorabend wieder – die gleichen
selbstgerechten Gesichter, die gleichen Poster. Diesmal fuhr die Limousine so
langsam, daß Jack die [875]  Demonstranten zählen konnte. Es handelte sich um
insgesamt neun Pornographiegegner – was Entertainment Weekly nicht daran hindern würde, in der Ausgabe zur Oscarverleihung davon zu
sprechen, »Hunderte« von Demonstranten hätten das Auditorium umlagert.
    Miss Wurtz sah wunderschön aus. Sie trug ein langes, fließendes
Kleid mit viereckigem Ausschnitt, und es war silbrig wie

Weitere Kostenlose Bücher