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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Gesicht.
    »Eine Vulva«, flüsterte Jack ihm zu.
    »Das Wort solltest du auf Partys nicht benutzen«, sagte Caroline.
    Es wurde rasch klar, daß die Wurtz in zu kurzer Zeit zu viele Filme
gesehen hatte, nämlich in den vergangenen Wochen bis zu drei am Tag, wie sie
Jack erzählte. Noch nie im Leben hatte sie so viele Filme gesehen. Sie waren in
ihrer Erinnerung zu einem bunten Durcheinander verschwommen. Und die Filme
dieses Jahres hatten sich mit Filmen vermischt, die sie seit ihrer Kindheit
nicht mehr gesehen hatte. Soweit sie auf der Party Berühmtheiten erkannte,
waren diese für sie keine Filmstars, sondern die Figuren, die sie gespielt
hatten. Leider hatten die Filme in ihrem Gedächtnis einander überlagert, so daß
sie mehrere verschiedene Handlungen zu einem einzigen wirren Epos verschmolzen
hatte, in dem praktisch jeder, den sie im Regent Beverly Wilshire »erkannte«,
eine entscheidende Rolle gespielt hatte.
    »Sieh mal, da ist der mißgünstige junge Mann, der all diese Leute
umgebracht hat. Einen mit einem Ruder, glaube ich«, sagte [871]  sie und deutete
auf Matt Damon, der in Der talentierte Mr. Ripley Tom
Ripley spielte. Auch machte die Wurtz keinen Unterschied zwischen Tom Ripley
und der Figur, die Tom Cruise in jenem Jahr spielte. Und sie hatte sich
eingeredet, daß Kevin Spacey in einer unglücklichen Ehe gefangen war, aus der
er von Zeit zu Zeit ausbrach, indem er jungen Mädchen nachstellte. »Irgendwer
sollte ein Auge auf ihn haben«, sagte Miss Wurtz zu Jack, der das so verstand,
daß ihn jemand zurückhalten sollte.
    Um das Thema zu wechseln, sagte Jack, er finde es bewundernswert,
wie stark Gwyneth Paltrow abgenommen habe, worauf die Wurtz erwiderte: »Sie
sieht aus, als müßte sie künstlich ernährt werden.«
    Wenn man zu viele Filme gesehen hat, bleibt die Zeit stehen: Niemand
wird alt oder stirbt. Miss Wurtz verwechselte Anthony Minghella mit Peter
Lorre. (»Ich dachte, Peter Lorre sei tot«, sagte sie am nächsten Tag zu Jack.
»Er hat schon seit Jahren keinen Film mehr gemacht.« Worauf Jack nur Wohl wahr! denken konnte.)
    Mit besorgtem Blick in die Runde verkündete die Wurtz, auf einer
Party dieser Größe und mit so vielen Berühmtheiten müßte es mehr als einen
Rausschmeißer geben. Sie hatte Ben Affleck für den einzigen Rausschmeißer
gehalten.
    Die Anwesenheit von Judi Dench entlockte Caroline das Geständnis,
sie habe Judi Dench immer für die Idealbesetzung der Rolle der Mrs. McQuat
gehalten, falls jemals irgend jemand einen Film über die Frau in Grau drehen
sollte.
    »Einen Film über Mrs. McQuat?« fragte Jack völlig verblüfft.
    »Du weißt doch, daß sie Lazarettschwester war, Jack. Ihre
Atembeschwerden kamen daher, daß sie in einen Gasangriff geraten war. Mit was
für Gas, weiß ich nicht.«
    So war Jack dazu verdammt, sich Judi Dench als die Frau in Grau –
ein ins Leben zurückgekehrtes Opfer eines Gasangriffs – vorzustellen: ein
verstörender Gedanke.
    [872]  Er warf Wild Bill Vanvleck immer wieder mahnende Blicke zu, um
ihm zu signalisieren, daß es Zeit zum Gehen sei.
    Aber Wild Bill war noch lange nicht bereit zu gehen. Er war nach
Hollywood zurückgekehrt, wiedergeboren als Regisseur eines für einen Oscar
nominierten Films. Jack gönnte dem Verrückten Holländer den Triumph. Bei der
Regie von Die Schundleserin hatte sich das Remake
Monster auf bewundernswerte Weise zurückgehalten. Vanvlecks handwerklichen
Fähigkeiten hatte Jack immer vertraut, und Wild Bill hatte sich auf das rein
Handwerkliche seiner Arbeit konzentriert und auf jegliche Parodie verzichtet.
    Nachdem sie die Miramax-Party endlich verlassen hatten, gingen Jack
und Miss Wurtz mit Richard Gladstein und seiner Frau sowie Vanvleck und Anneke,
seiner wesentlich jüngeren Moderatorin, zum Abendessen. Vor dem Regent Beverly
Wilshire skandierten die Demonstranten noch immer Slogans und hielten Poster
von männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen hoch – Penisse und Dingsbumse
in Hülle und Fülle. Miss Wurtz empörte sich aufs neue.
    »Wenn Sie Pornographie nicht mögen, dann hören Sie auf, ständig
daran zu denken!« fuhr sie aus dem Fenster der Limousine heraus einen verblüfft
wirkenden Mann in hellgrünem, kurzärmeligem Hemd an. Der Mann hatte ein Poster,
das ein nacktes Kind zeigte, über dem der einschüchternde Schatten eines
Erwachsenen dräute.
    Nur gut, daß die Wurtz nicht im Wagen von Hank Long, Muffy und Milly
Ascheim mitfuhr. Wie Jack später erfuhr, hatte Milly ihr

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