Bis ich dich finde
ihr Haar. Jack wirkte
in seinem nachtschwarzen Armani, zu dem neben dem schwarzen Jackett und der
schwarzen Krawatte auch ein schwarzes Hemd gehörte, wie ein geschrumpfter Gangster.
Er hatte die zehn Kilo, die er sich für die Rolle des Jimmy Stronach angegessen
hatte, wieder abgespeckt und sah schlank und gefährlich aus, wie Michele Maher
einmal bemerkt hatte.
Sie standen noch keine zwanzig Minuten auf dem roten Teppich, als
Erica sie schon zu dem obligatorischen Interview mit Joan Rivers lotste. Jack
dachte mit Schrecken an Miss Wurtz’ Antwort auf Joans absehbare Frage, »wen«
sie denn trage. Aber anstatt zu sagen »Jacks Vater hat mir das Kleid geschenkt,
als wir ein Liebespaar waren«, erwiderte Caroline: »Das Kleid ist etwas
Persönliches, ein Geschenk von einem früheren Verehrer.« Die perfekte Antwort,
wie Jack fand.
Joan Rivers wußte schon im voraus alles über die Verbindung zwischen
Jack und Miss Wurtz. Wie es schien, wußten sämtliche Medienvertreter davon.
»Wie war Jack denn so als Schüler?« fragte sie Miss Wurtz.
»Schon als Kind war Jack als Frau ebenso überzeugend wie als Mann«,
antwortete Caroline. »Er mußte nur wissen, wer sein Publikum war.«
»Und wer ist Ihr Publikum, Jack Burns?« fragte Joan Rivers ihn.
»Mein Vater ist mein Einmannpublikum«, antwortete er, »aber ich habe
unterwegs wohl noch ein paar andere Fans gewonnen.« Er blickte in die Kamera
und sagte zum erstenmal in seinem [876] Leben: »Hallo, Dad.« Wie er bemerkte, lächelte
Miss Wurtz schüchtern in die Kamera.
Danach kam er gar nicht schnell genug vom roten Teppich herunter. Er
war fix und fertig. (Um ein Haar hätte er Dr. García angerufen.)
»Beruhige dich«, sagte Caroline. »Es ist nicht nötig, daß du irgend
etwas zu William sagst. Er möchte dich bloß sehen – und mehr als alles andere
möchte er dich gewinnen sehen.«
Die Preisverleihung erforderte viel Geduld. Erica ging mit Jack
und Miss Wurtz ins Auditorium, wo sie ewig warten mußten. Jack trank zuviel
Evian und mußte schon pinkeln, ehe Billy Crystal von einem Motorrad-Cop mit
Sonnenbrille und weißem Helm wie ein Baby auf die Bühne getragen wurde und der
Abend offiziell begann.
Jack saß in der sechsten Reihe am Mittelgang. Alle Nominierten
hatten Plätze am Mittelgang. Richard Gladstein saß vor ihm, Wild Bill Vanvleck
hinter ihm. Miss Wurtz saß zwischen Jack und Harvey Weinstein. Obwohl Jack die
beiden auf der Party am Vorabend zweimal einander vorgestellt hatte, wußte
Caroline nicht mehr, wer Harvey war, aber daß es sich um jemand Wichtiges
handelte, merkte sie daran, daß von Anfang bis Ende eine Fernsehkamera auf ihn
gerichtet blieb. Aus Gründen, die Jack verborgen blieben, kam Miss Wurtz zu dem
Schluß, Harvey sei ein berühmter Profiboxer, ein ehemaliger Schwergewichtsmeister.
(Gut möglich, daß sie irgendwen hatte sagen hören, wie sehr Harvey eine
zünftige Keilerei genieße. Eine andere Erklärung konnte sich Jack nicht
denken.)
Die Preisverleihung für den besten Nebendarsteller stand ziemlich
früh auf dem Programm. Nachdem Michael Caine gewonnen hatte, wußte Jack, daß er
lange würde warten müssen, denn die Drehbuchpreise wurden erst gegen Ende des
Abends verliehen. Kaum jemand saß das gesamte Programm ab, [877] insbesondere
nicht, wenn man soviel Evian getrunken hatte wie Jack. Aber man mußte seine
Pinkelpausen ziemlich genau planen, denn man durfte nur während der
Fernsehwerbespots den Saal verlassen oder an seinen Platz zurückkehren.
Miss Wurtz ereiferte sich über diejenigen Gewinner, die die
erlaubten fünfundvierzig Sekunden für ihre Dankesrede überzogen. Richtig sauer
wurde sie auf Pedro Almodóvar, der, als er für Alles über
meine Mutter den Oscar für den besten ausländischen Film entgegennahm,
so lange redete, daß Antonio Banderas ihn von der Bühne zerren mußte.
»Buenas noches!« rief Miss Wurtz ihm zu.
Ihre Pinkelpause – oder vielmehr Jacks Pinkelpause, da er sie
dringender brauchte – machten sie während der Verleihung des Irving G. Thalberg
Memorial Award, der in diesem Jahr an Warren Beatty ging. Caroline war böse auf
Jack, weil sie die Verleihung seinetwegen verpaßte. Sie war einmal in Warren
Beatty verknallt gewesen. »Kein Vergleich mit dem, was ich für deinen Vater
empfunden habe, Jack, aber verknallt war ich.«
Als sie an ihre Plätze zurückgekehrt waren, mußte Jack schon wieder
pinkeln. Wenn er nicht gewinne, flüsterte er Miss Wurtz zu, werde er in
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