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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sein »Letzter
Hafen« – eine solche Tätowierung hätte William gewollt. In diesem Augenblick
wurde Jack klar, daß er ihn würde finden müssen.
    In Beverly Hills stand die Sonne mittlerweile so hoch am Himmel,
daß das Licht nicht mehr schräg ins Zimmer einfiel. Miss Wurtz’ rosarot
lackierte Zehennägel leuchteten nicht mehr so hell. Der schwarze Flügel hatte
eine etwas trübere Farbe angenommen: weniger wie eine Ölpfütze, eher wie ein
Sarg. Doch der Oscar, der neben den nackten Füßen von Caroline und Jack auf der
Glasplatte stand, schimmerte auch ohne direktes Sonnenlicht nicht weniger
golden, nicht weniger blendend.
    »Ich weiß, daß William dich gestern abend gesehen hat, Jack«, sagte
Miss Wurtz. »Ganz egal, wie spät in der Nacht oder wie früh am Morgen es in
Europa war, falls er dort ist. Ich weiß einfach, das hat er sich nicht entgehen
lassen.«
    Sie stand von der Couch auf und küßte Jack auf die Stirn, raffte den
Bademantel am Hals fest zusammen, beugte sich vor und küßte den Oscar auf
seinen schimmernden Schädel. »Ich gehe jetzt schlafen, ihr beiden«, sagte sie.
    [890]  Jack sah ihr nach, als sie durchs Wohnzimmer ging und ihre Hand
einen Moment lang leicht über die Tasten des Flügels gleiten ließ: Man hörte
nur ein leises Klimpern, ehe sie in ihr Schlafzimmer verschwand und die Tür
hinter sich schloß.
    Jack stand auf, ging in sein Schlafzimmer und schloß ebenfalls die
Tür. Er ließ die Vorhänge zugezogen, öffnete jedoch die Fenster. Wenn der
leichte Wind die Vorhänge bewegte, fiel etwas Licht ins Zimmer, und er hörte
das Zischen eines Wasserschlauchs. Unten im Garten bewässerte irgend jemand die
Pflanzen. Jack legte den Oscar neben sich. Die Statuette bekam ihr eigenes
Kissen. Jack betrachtete den Oscar, wie er dalag, in der Hand sein angebliches
Schwert. Im trüben Licht sah er aus wie ein toter Soldat: Vielleicht hatten
seine Kameraden ihn auf dem Schlachtfeld gefunden und in würdevoller Pose
aufgebahrt.
    Jack schlief an diesem Montagvormittag, bis ihn das Telefon weckte.
Er hatte vergessen, daß er, Vanvleck und Richard vereinbart hatten, in einem
Studio den Kommentar für die DVD ihres Films
aufzunehmen. Sie mußten sich den gesamten Film vorführen und ihn gelegentlich
anhalten lassen, während sie über die Absichten sprachen, die dieser
Einstellung oder jener Szene zugrunde lagen: wie sich ein bestimmter Augenblick
ergeben oder daß sich ein Stück Dialog oder Kommentar aus dem Off ursprünglich
an anderer Stelle befunden habe.
    Jack duschte und zog sich an. Er stellte den Oscar auf den Flügel,
als Briefbeschwerer für die kurze Mitteilung an Miss Wurtz, die noch schlief.
Sie würden zusammen essen gehen, vielleicht mit Richard und Wild Bill, hatte
Jack geschrieben. Damit niemand den Oscar klaute oder Miss Wurtz weckte, ließ
Jack das BITTE-NICHT-STÖREN -Schild außen an der
Tür. Am Empfang bat er darum, keine Anrufe durchzustellen.
    Dann trat er ins grelle Sonnenlicht und setzte sich zu Richard und Wild
Bill in die Limousine, um mit ihnen ins Tonstudio zu fahren. Wild Bill hatte
einen fürchterlichen Kater. Daß seiner [891]  Moderatorin mitten in der Nacht
schlecht geworden war, hatte seinen Zustand nicht gebessert. »Hat sich mit
irgendwas den Magen verdorben«, sagte Wild Bill. »Ich wünschte, ich hätte es
auch gegessen. Ich wünschte, es hätte mich umgebracht.«
    Richard sagte zu Jack, kein Kater sei so schlimm, wie den Oscar
nicht zu bekommen.
    Die Aufnahme des DVD -Kommentars schien
Stunden zu dauern. Wie damals in Amsterdam, als sich Jack zum erstenmal mit
Richard und Wild Bill getroffen hatte, war er nicht mit dem Herzen bei der
Sache. Aber ihm gefiel der Film, den sie zusammen gemacht hatten, und beim
nochmaligen Sehen erinnerte er sich, wie das alles zustande gekommen war.
    »Wer ist eigentlich darauf gekommen?«
fragte Wild Bill von Zeit zu Zeit.
    »Du, glaube ich«, sagte Richard dann.
    Alles in allem lief es ziemlich gut. Wild Bills Kater schien sich zu
legen oder aber der Anlaß setzte neue Energien frei. Binnen kurzem redete fast
nur noch er. Einmal sprach er fast eine halbe Stunde lang ohne Unterbrechung –
es war verblüffend, woran er sich erinnern konnte. Doch seine Stimme so zu
hören, hatte etwas sonderbar Verwirrendes. Fast konnte Jack ihn fragen hören:
»Du kennst die Alte tatsächlich?«
    Oder seine Frage an Richard, in jener Nacht in der Sint
Jacobsstraat, als Jack erklärt hatte, Els sei sein Kindermädchen gewesen:

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