Bis ich dich finde
und Els winkte zurück.
Richard und Wild Bill mühten sich, ihm aufzuhelfen, aber Wild Bill
war betrunken und Richard hatte, vom Jetlag einmal abgesehen, ebenfalls kräftig
dem Rotwein zugesprochen.
»Sie sind ihr Kleiner ?« fragte Richard,
aber Jack winkte [887] seinem Vater zum Abschied zu und konnte nicht antworten: Er
hatte einen Kloß in der Kehle.
»Du kennst die Alte tatsächlich?« fragte Wild Bill, verlor das
Gleichgewicht und setzte sich auf den Hosenboden. Richard hatte Jack unter
einem Arm gefaßt, ließ nun aber los. Jack kniete einfach neben Wild Bill auf
der Straße und winkte immer noch.
»Jackie, Jackie, deine Mutter hat dich geliebt!« rief Els. »So gut
sie konnte!«
Schließlich half Wild Bills hübsche Moderatorin Jack auf die Beine.
Sie hatte keinen Rotwein getrunken, wie Jack bemerkt hatte. »Nun hören Sie
schon auf, der alten Nutte zuzuwinken!« sagte Anneke. »Sie ermutigen sie doch
bloß!«
»Sie war mein Kindermädchen!« schluchzte Jack.
»Sie war was ?« wandte sich Wild Bill an
Richard.
»Seine Babysitterin«, erklärte Richard.
»Na großartig!« rief Wild Bill.
»Nun halt schon die Klappe, Bill! Siehst du denn nicht, daß er
weint?« fragte Anneke den Verrückten Holländer.
»Jack, warum weinst du?« fragte Wild Bill.
»Sie hat sich um mich gekümmert, wenn meine Mutter gearbeitet hat«,
verriet ihnen Jack.
»Wo gearbeitet? Etwa hier?« fragte Richard.
»Meine Mutter hat in einem Fenster gearbeitet, in einem dieser
Hauseingänge – da hinten«, sagte Jack und deutete in die ungefähre Richtung des
Rotlichtviertels. »Meine Mutter war eine Prostituierte«, sagte er.
»Ich dachte, seine Mutter wäre Tätowiererin gewesen!« sagte Wild
Bill zu Richard.
»War sie auch«, sagte Jack. »Sie war nicht sehr lange Prostituierte,
aber sie war eine.«
Erneut begann er Els zuzuwinken, doch Anneke umschlang ihn von
hinten und klemmte so seine Arme fest. »Herrgott noch mal, Schluß jetzt!« sagte
sie.
[888] »Komm noch einmal zu mir, bevor ich sterbe, Jackie!« rief Els.
Wild Bill saß immer noch auf dem Boden. Er hatte ebenfalls begonnen,
Els zuzuwinken, doch Anneke versetzte ihm einen Tritt. »Klasse Idee, Bill!«
sagte sie. »Du zeigst einem Kerl, dessen Mutter eine Hure war, das
Rotlichtviertel!«
»Das wußte ich doch nicht!« rief Wild Bill. Richard half ihm auf,
Anneke zupfte ein Bonbonpapier von Vanvlecks langem, grauem Pferdeschwanz.
Sie ließen Els in ihrem Fenster zurück und gingen Richtung Rotlichtviertel:
Es war der kürzeste Weg zurück zum Grand. Richard, der neben Jack herging,
legte den Arm um ihn. »Alles in Ordnung, Jack?« fragte er.
»Bestens«, antwortete Jack.
Aber Richard war nüchtern genug, um sich Sorgen über Jack zu machen,
und sie freundeten sich rasch an. »Wenn Sie wieder nach L.A. kommen – ich weiß dort jemanden, zu dem Sie gehen könnten«, sagte Richard.
»Sie meinen einen Psychiater?« fragte Jack.
»Dr. García kennt sich mit Schauspielern aus«, sagte Richard. »Sie
wären nicht ihr erster Filmstar.«
Die Winkerei hatte aufgehört, aber Jack sah immer noch vor sich, wie
Els seinen Vater vom Bürgersteig hochhob und ihn wie ein Kind zu Femkes
Mercedes trug. (Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte Alice Jack wieder
abgesetzt, so daß er nicht mehr über die Reling schauen konnte.) Die feuchte
Nachtluft blies Jack ins Gesicht wie eine Meeresbrise – wie der Wind, der
während der ganzen Reise von Rotterdam nach Montreal, dem Bestimmungsort des
Schiffes, geweht hatte.
Jack hörte die Frauen und Mädchen in ihren Fenstern und
Hauseingängen seinen Namen rufen, aber er ging einfach weiter. »Großartig!«
hörte er Richard einmal ohne ersichtlichen Grund sagen.
Anneke hatte erneut Jacks Arm genommen – diesmal, als [889] wollte sie
ihn vor den Zurufen der Prostituierten beschützen. »Wenn Sie ins Hotel
zurückkommen, dann gehen Sie sofort ins Bett und versuchen, das Ganze zu
vergessen«, flüsterte sie ihm zu.
»Gute Nacht, ihr Lieben!« rief Wild Bill den Frauen des
Rotlichtviertels zu.
Für alle Zeiten würde Jack die Bewegung des auslaufenden Schiffes
spüren: das unter seinen Füßen rollende Deck, während Rotterdam langsam dem
Blick entschwand. Wie sehr es ihn danach verlangte, den Herbert Hoffmann seines
Vaters zu sehen, die Tätowierung, die sich William in Hamburg hatte machen
lassen, falls er sich eine hatte machen lassen. Ein Segelschiff, von achtern
gesehen, also beim Auslaufen. Hoffmanns »Seemannsgrab« oder
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