Bis ich dich finde
Scheibe geschlagen. Dieser Kopf,
besonders Nase und Kinn, erinnerten Jack an den seiner Mutter.
Die Orgel von St. Paul’s war zum Gedenken an einen Organisten gebaut
worden, der 1920 gestorben war. Die Orgelpfeifen waren blau und weiß, und es
gab eine zweite Gedenktafel für eine Organistin.
DEM RUHME GOTTES
UND IN DANKBAREM GEDENKEN
AN NATALIE LITTLER
1898–1963
ORGANISTIN 1935–62
1962 hatten sie also einen neuen Organisten gebraucht. Es gab
keine Gedenktafel für William Burns, der, so hoffte Jack, noch unter den
Lebenden weilte. Er war 1964 nach Halifax gekommen, um die Orgel von St. Paul’s
zu spielen. (Gott allein wußte, wie [917] lange sein Aufenthalt gedauert hatte. Es
gab keinerlei schriftliche Zeugnisse darüber, daß er überhaupt je hier gewesen
war.)
Jack verließ die Kirche und blickte vom Old Burying Ground, dem
alten Friedhof, in Richtung Hafen. Er fragte sich, was wohl passiert wäre, wenn
er und seine Mutter in Halifax geblieben wären, und ob sie dort hätten
glücklich werden können.
Er wußte, daß das sogenannte »Explosionsfenster« in der St. Paul’s
Church, jener perfekt erhalten gebliebene Kopf im Profil, der an die
Katastrophe von 1917 erinnerte, besserer Stoff für einen Film über die
Explosion von Halifax war als das bescheidene Drehbuch, das Doug McSwiney
geschrieben hatte. Es war ihm peinlich, daß er den ganzen Weg zu einer
Besprechung über einen Film gekommen war, der, wie er wußte, nie gedreht werden
würde – jedenfalls nicht mit Jack Burns in der Rolle des unter
Gedächtnisverlust leidenden Transen-Strichers.
Außerdem hatte Jack überhaupt keine Lust, mit Doug McSwiney
zusammenzutreffen. Er beschloß, Cornélia Lebrun mitzuteilen, was er von dem
Projekt hielt, und es dabei bewenden zu lassen. (Er wußte, daß sich viele
Besprechungen über Filmprojekte vermeiden ließen, wenn die Leute einander
einfach sagten, was sie von dem jeweiligen Projekt hielten, ehe sie sich
miteinander trafen.)
Wie er wußte, wohnte Cornélia Lebrun ebenfalls im Prince George,
doch er hatte von Emma gelernt, daß es besser war, sich schriftlich
auszudrücken, vor allem, wenn man sich über irgend etwas ärgerte. Vor dem
Abendessen blieb ihm gerade noch genügend Zeit, ins Hotel zurückzukehren und
niederzuschreiben, was er der französischen Regisseurin schon in einem simplen
Telefongespräch von Los Angeles aus hätte sagen sollen.
Er wolle aus persönlichen Gründen etwas Zeit in Halifax verbringen,
erklärte Jack ihr, aber nicht mit einem Film über die Explosion von Halifax in
Verbindung gebracht werden, der die Katastrophe trivialisiere. Er finde die
Figur des Le Medec [918] reizvoll und würde gern mehr über sie erfahren. Er wies
Cornélia Lebrun darauf hin, daß er sich von seiner körperlichen Erscheinung her
für die Rolle des Le Medec eigne und daß die dem Kapitän nachgesagte
Launenhaftigkeit und Streitlust durchaus innerhalb seiner, Jacks, Möglichkeiten
als Schauspieler liege. (Er führte sein Talent für Akzente an.)
Eine andere gute Rolle unter den wirklichen Gestalten, die in die
Katastrophe verwickelt gewesen waren, war die des Frank Mackey, des Lotsen, der
kein Französisch sprach. Und es gab noch eine dritte Rolle, die für jeden
Schauspieler von Interesse gewesen wäre: die von C. J. Burchell, dem Anwalt der
norwegischen Reederei. Burchell war seinerzeit der bekannteste Seerechtsexperte
der Ostküste gewesen. Als Anwalt der Eigner der Imo »scheute Burchell«, laut Bird, »auch vor den skrupellosesten
Verhandlungstaktiken nicht zurück«. Angesichts der Voreingenommenheit des
Richters zugunsten der Imo und angesichts der gegen
die Montblanc (und die Franzosen) gerichteten
Stimmung, die vor Ort herrschte, mußte sich Burchell zusätzlich ermutigt
gefühlt haben, »Zeugen anzugreifen und einzuschüchtern«.
Was brauchte es da noch eine fiktive Geschichte?, fragte Jack die
Regisseurin in seinem Brief. Wen interessiere denn angesichts von zweitausend
Toten und neuntausend Verletzten – darunter fast zweihundert Erblindete – ein
unter Gedächtnisverlust leidender Transen-Stricher, der ein paar Verbrennungen
abbekomme und seine Kleider, sein Gedächtnis und seine Perücke verliere? Mit
einem Wort, McSwineys Drehbuch sei der letzte Mist. (Dr. García hätte speziell
von diesem Einschub abgeraten, und wie sich herausstellte, hätte sie damit
recht gehabt. Aber das war die Formulierung, die er in seiner Erregung spontan
niederschrieb.)
Er entschuldigte sich
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