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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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dafür, daß er Madame Lebruns und Mr. McSwineys
Zeit verschwende, indem er sich zu einem Treffen in [919]  Halifax bereit gefunden
habe, das nun, wie er glaube, nicht mehr sinnvoll sei. Ein einziger Blick auf
das sogenannte Explosionsfenster in der St. Paul’s Church habe ihm klargemacht,
daß McSwiney es geschafft habe, ein ebenso schlüpfriges wie banales Drehbuch zu
schreiben: Er habe aus der Explosionskatastrophe von Halifax eine erbärmliche
Liebesgeschichte gemacht.
    Jack vergaß, Cornélia Lebrun zu sagen, daß er nach wie vor an einer
Zusammenarbeit mit ihr als Regisseurin interessiert sei: Schließlich hatte ihn
diese Aussicht ursprünglich überzeugt, daß das Treffen in Halifax eine gute
Idee sei. Er vergaß außerdem, ihr zu sagen, daß er oft genug mit dem Thema Transvestiten
zu tun gehabt habe, um jedes Bedürfnis nach Transvestitenrollen, das er je
verspürt haben mochte, zu befriedigen: Er fand es nicht zuviel verlangt, als
Schauspieler ein Mann sein zu dürfen.
    Ungeachtet dieser Auslassungen hinterließ er am Empfang eine
Unmenge, ja einen regelrechten Stoß Prince-George-Briefpapier für Madame Lebrun
mit der Bitte, ihr diese Nachricht aufs Zimmer zu bringen. Dann ging er zu
einem einsamen Abendessen ins Restaurant Press Gang. Ins Hotel zurückgekehrt,
fragte er am Empfang, ob Cornélia Lebrun eine Nachricht für ihn hinterlassen
habe. Man sagte ihm, sie sei in der Bar.
    Jack hatte nur verschwommene Vorstellungen davon, wie die
französische Regisseurin aussah. (Eine kleine Frau Mitte Sechzig – ungefähr so
alt wie Miss Wurtz, dachte er.) Er entdeckte sie mühelos. Wie viele Frauen in
Halifax trugen wohl einen froschgrünen Hosenanzug aus Wildleder?
    »Cornélia?« sagte Jack zu der kleinen Französin, deren Lippenstift
von kühnem Orange war.
    »Schack Burns!« rief sie, doch ehe er die ihm hingehaltene Wange
küssen konnte, drängte sich ein ausladender Mensch mit zottigem Haar zwischen
sie.
    Der Mann war größer, als seine Schutzumschlagfotos vermuten ließen,
und behaarter als ein Holzfäller. Daß Jack die Romane [920]  des pelzgesichtigen
Autors nie hatte lesen können, lag an den ständigen Beschwörungen wilder Natur
auf fast jeder Seite, an der typischen Penetranz dieser Prosa. (Vom Wind
gepeitschte Tannenwipfel, der graue Fels des Kanadischen Schildes, die
erbarmungslose See – rauhes Wetter und starker Alkoholkonsum.) Sogar der
Whisky, nach dem der Atem des Autors roch, verlangte den ganzen Mann – es war
natürlich Doug McSwiney. Jack wollte ihm gerade die Hand geben, als McSwineys
linker Haken ihn an der rechten Schläfe traf. Jack wurde völlig überrumpelt.
    »Da hast du Mist!« sagte McSwiney, doch Jack hörte nur das Da und ging schon im Stehen k.o. Er hätte eigentlich damit
rechnen müssen: Von einem Autor, der so unsensibel war, die
Explosionskatastrophe von Halifax zu einer schmierigen Liebesgeschichte zu
verwursten, war eine solche Gemeinheit zu erwarten.
    Jack kam in seinem Hotelzimmer zu sich. Er lag angezogen, aber ohne
Schuhe, rücklings auf seinem Bett, und sein Kopf pochte. Neben ihm auf der
Bettkante saß Cornélia Lebrun. Sie hatte ein paar Eiswürfel in einen feuchten
Waschlappen gewickelt, den sie an die Schwellung an Jacks rechter Schläfe
hielt. Dieser besoffene, bärtige Scheißkerl hätte mich
umbringen können, dachte Jack.
    »Isch ’abe Schuld«, sagte Madame Lebrun. »Isch kann nischt lesen
Englisch, wenn es ist in geschrieben Schrift.«
    »Schreibschrift«, verbesserte Jack sie.
    »Isch ’abe Dougie gebeten, er soll mir Ihren Brief vorlesen laut.
Groß fauxpas, oui ? Isch glaube, das Wort groß Mist, das ist es gewesen.«
    »Vielleicht auch banal oder schlüpfrig. «
    » Oui. Außerdem er trinkt.«
    »Ich habe auch schon Verrisse gekriegt«, sagte Jack. »Trotzdem habe
ich nicht versucht, Roger Ebert mit meinem Oscar zu erschlagen.«
    »Wen du erschlagen?« fragte die kleine Französin.
    [921]  »Egal. Ich möchte nicht in dem Film mitspielen.«
    »Isch würde Le Medec mit ain Franzos besetzen, Schack – ganz gleisch
wie gut ist Ihr Akzent.«
    Sie würde es ohnehin nicht schaffen, den Film zu drehen. Später in
jenem Jahr, nach den Terrorangriffen vom 11. September, würde es zu schwierig
sein, die Finanzierung für einen Film über die Explosion von Halifax zustande
zu bringen, selbst wenn ein Star mitwirkte. Katastrophenfilme waren plötzlich
nicht mehr so reizvoll. (Diese Stimmung sollte noch über ein Jahr anhalten.)
    Das kanadische Fernsehen

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