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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Chauffeure gekannt«, sagte er.
    »Und wie viele homophobe Tierärzte hast du gekannt, Jack?« fragte
sie. (Sogar diesen unseligen Film hatte sie gesehen.)
    »Mit anderen Worten, ich bin verdreht«, sagte er.
    »Aber es wirkt überzeugend. Du hast ein Naturtalent fürs
Verdrehtsein«, sagte Michele.
    Jack blieb stumm. Irgend etwas war in ihr zweites, schon halbleeres
Glas Weißwein gefallen, und sie versuchte es herauszufischen. Es war ein Ring,
der ihr vom Finger gerutscht war.
    »Ich habe für dieses Date wahnsinnig stark abgenommen«, sagte sie.
»Ich trage zwei Größen kleiner als noch vor einem Monat. Ständig muß ich meine
Ringe an größere Finger stecken.«
    Mit einem Löffel angelte Jack ihren Ring aus dem Weinglas. Der Ring
war ihr vom Mittelfinger der rechten Hand gerutscht; der Mittelfinger ihrer
Linken sei noch dünner, erklärte Michele, aber für ihre Zeigefinger sei der
Ring zu eng.
    Für eine Frau ihres Alters wirkte der Ring etwas altmodisch, ein
bißchen klobig: ein großer, von Diamanten eingefaßter Saphir. »Hat er einen
sentimentalen Wert, dieser Ring?« fragte Jack.
    Michele stieß ihr Weinglas um und brach in Tränen aus. Gegen Jacks
Rat bestellte sie eine Pizza, keine Pasta. Die Pizza im Jones hatte einen ziemlich
dünnen Boden; nach Jacks Einschätzung hatte sie gegen den Alkohol, den Michele
intus hatte, nicht den Hauch einer Chance.
    Der Ring hatte Micheles Mutter gehört, daher die Tränen. Ihre Mutter
war an Hautkrebs gestorben, während Michele noch [950]  studierte. Sie selbst hatte
sofort ebenfalls eine Hautkrankheit bekommen: Sie sprach von einem
streßbedingten Ekzem. Sie hatte sich aus persönlichen Gründen auf Dermatologie
spezialisiert.
    Ihr Vater hatte wieder geheiratet, und zwar eine erheblich jüngere
Frau. »Sie ist so alt wie ich und nur auf sein Geld aus«, sagte Michele. Sie
hatte sich ein drittes Glas Weißwein bestellt und ihre Pizza noch nicht
angerührt.
    »Du erinnerst dich doch noch an die Wohnung meiner Eltern in New
York, Jack?« fragte sie. Sie hatte den zu weiten Ring ihrer toten Mutter auf
ihren Tellerrand gelegt, wo er drauf und dran zu sein schien, die Pizza zu
essen. (Er wirkte tatsächlich so, als hätte er mehr Appetit auf die Pizza als
Michele.)
    »Natürlich«, antwortete Jack. Wie hätte er die Wohnung in der Park
Avenue vergessen können? Die schönen Zimmer, die schönen Eltern, den schönen
Hund! Und den auf Klobrillenhöhe hängenden Picasso in der Gästetoilette, der
einen förmlich herausforderte, ihn zu bepinkeln.
    »Diese Wohnung sollte ich einmal erben«, sagte Michele. »Und jetzt
kriegt sie diese Frau.«
    »Aha.«
    »Warum hast du nicht mit mir geschlafen, Jack?« fragte sie. »Wie
konntest du nur vorschlagen, daß wir zusammen masturbieren? Gemeinsames
Masturbieren ist etwas viel Intimeres als gewöhnlicher Sex, stimmt’s?«
    »Ich dachte, ich hätte einen Tripper«, gestand er. »Ich wollte dich
nicht anstecken.«
    »Einen Tripper von wem? Du bist doch mit niemand gegangen, oder?«
    »Ich habe mit Mrs. Stackpole, der Geschirrspülerin, geschlafen. Du
kannst dich wahrscheinlich gar nicht an sie erinnern, Michele.«
    »Die Frauen, die in der Küche gearbeitet haben, waren alle alt und
fett!« rief sie.
    [951]  »Ja, das stimmt«, sagte Jack. »Mrs. Stackpole jedenfalls.«
    »Du hättest mit mir schlafen können und
hast statt dessen mit einer alten, fetten Geschirrspülerin geschlafen?« ( Geschirrspülerin sagte sie genauso, wie
sie diese Frau gesagt hatte.)
    »Ich habe mit Mrs. Stackpole geschlafen, bevor ich wußte, daß ich
mit dir schlafen kann«, erinnerte Jack sie.
    »Und deine Beziehung zu Emma Oastler – wie hat man sich die
vorzustellen?« fragte Michele.
    Jetzt geht’s los, dachte Jack. Jetzt kommt wieder »zu verdreht« und der ganze andere Kram. »Emma und ich haben uns bloß eine Wohnung geteilt – wir haben zusammengelebt,
aber niemals miteinander geschlafen.«
    »Das ist aber schwer vorstellbar«, sagte Michele und spielte mit dem
Ring auf ihrem Tellerrand. »Heißt das, ihr habt bloß miteinander masturbiert?«
    »Nicht einmal das.«
    »Aber was habt ihr gemacht? Irgendwas müßt ihr doch gemacht haben«,
sagte Michele.
    »Wir haben uns geküßt, ich habe ihre Brüste angefaßt, sie hat meinen
Penis gehalten.«
    Als Michele nach ihrem Weinglas griff, stieß ihr Ellbogen von oben
auf ihren Tellerrand, so daß der Ring ihrer Mutter wegkatapultiert wurde. Er
landete auf dem Nachbartisch, zur Verblüffung zweier Models,

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