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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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glänzend miteinander
amüsieren würdet. Du wirst mich für grausam oder dumm halten, weil ich ihn habe
einweisen lassen, aber man muß sich um ihn kümmern, und die dort wissen, wie.
Glaub ja nicht, du könntest dich um ihn [1026]  kümmern.
Wenn ich mich nicht um ihn kümmern kann – und ich kann es nicht –, dann kannst
du es auch nicht. Vielleicht glaubst du es anfangs nicht, aber er ist da, wo er
hingehört.«
    »Okay«, sagte Jack. Er nahm ihr die Brille ab und schob sein Gesicht
an ihres heran, so daß sich ihre Nasenspitzen berührten. »Sieh mich weiter an«,
sagte er. »Ich glaube dir.«
    »Ich habe mein halbes Leben lang Großaufnahmen von dir gesehen«,
sagte sie lächelnd.
    »Ich kann dich gar nicht genug ansehen, Heather.«
    Sie fuhr ihm mit der Hand durchs Haar und wischte sich mit dem
Rücken der anderen die Lippen. Jack erkannte die Geste. So hatte er sich in Das letzte Mal die Perücke abgenommen und mit dem
Skihandschuh den malvenfarbenen Lipgloss abgewischt. In einer nahezu perfekten
Nachahmung seiner Stimme sagte Heather: »Sie haben wahrscheinlich gedacht, ich
wäre eine Frau, stimmt’s?«
    »Das kannst du ziemlich gut«, sagte er, während er in ihre braunen
Augen blickte.
    »Das ist keine sehr gute Stelle zum Anhalten«, sagte Heather genau so,
wie er es in Das letzte Mal gesagt hatte. »Tut mir
leid, aber als Frau wird man einfach leichter mitgenommen«, fuhr sie fort. »Ich
versuche, die Kosten fürs Essen zu sparen«, sagte Heather achselzuckend. Auch
sein Achselzucken hatte sie drauf.
    »Was ist mit Melody in Ein guter Job ?«
fragte er sie.
    Heather räusperte sich. »Den Job wird man gern los«, sagte sie in
perfekter Imitation.
    »Und Johnny-als-Nutte in Nett und Normal ?«
( Das kriegt keine Frau hin, dachte Jack.)
    »Es wird Sie vielleicht interessieren«, sagte seine Schwester mit
jener rauchigen Nuttenstimme, »daß Lester Billings ausgecheckt hat. Ich
fürchte, sein Zimmer ist in keinem schönen Zustand.«
    »Setz deine Brille wieder auf«, sagte Jack und stand vom Bett auf.
Er ging zu ihrem Schrank, öffnete die Tür, suchte ein [1027]  lachsfarbenes Camisol
aus und hielt es sich am Kleiderbügel vor die Brust.
    »Mannomann, ich wette, an dir sieht das klasse aus«, sagte Heather
genau so, wie Jack-als-Dieb es zu Jessica Lee gesagt hatte.
    Er hängte das Camisol in den Schrank zurück, und sie gingen in die
Küche, wo sie ihre Teetassen spülten, abtrockneten und in den Schrank
zurückstellten. Für jemanden wie Jack war es unvorstellbar, fünf Mitbewohner zu
haben.
    »Das muß so sein, als lebte man auf einem Schiff«, sagte er zu Heather.
    »Ich ziehe ja bald aus«, antwortete sie lachend.
    Sie gingen den gleichen Weg durch die Meadows zurück, den sie
gekommen waren. Jack hielt das kleine Fotoalbum in der Hand, obwohl Heather
angeboten hatte, es in ihrem Rucksack zu tragen.
    Kurz bevor sie zum George Square kamen, sahen sie einen alten Mann
mit schneeweißem Haar, der Gitarre spielte und dazu pfiff. Er sei immer da,
jeden Tag, sagte Heather, sogar im Winter. Oft sei er schon um acht Uhr morgens
zur Stelle und bleibe dann den ganzen Tag.
    »Ist er verrückt?« fragte Jack.
    » Verrückt ist ein relativer Begriff«,
sagte seine Schwester.
    Sie sprach vom Squashspielen, das sie offenbar sehr ernsthaft
betrieb. (Die Musikhochschule hatte eine Squashmannschaft, zu deren besseren
Spielerinnen sie zählte.) Außerdem sprach sie von der »Stadtmöwen-Plage«.
    »Stadtmöwen?« sagte Jack.
    »In Edinburgh wimmelt es von ihnen – neulich haben sie einen Mann
angegriffen und so schlimm verletzt, daß er ins Krankenhaus mußte!« sagte
Heather.
    Sie kamen zu der Stelle, wo die South Bridge von der Royal Mile
gekreuzt wird. Jack war sich gar nicht bewußt, daß er in die [1028]  falsche
Richtung geschaut hatte, doch als er die Straße überqueren wollte, packte
Heather ihn an der Hand und sagte in scharfem Ton: »Schau nach rechts, Jack. Ich
will dich nicht verlieren.«
    »Ich will dich auch nicht verlieren«, antwortete er.
    »Ich meine, beim Überqueren der Straße«, sagte sie.
    Jack bezweifelte, daß er Old St. Paul’s ohne Stadtplan und genaue
Wegbeschreibung gefunden hätte. Die Kirche schmiegte sich an einen steilen
Hügel zwischen der Royal und der Jeffrey Street, wo auch der Haupteingang lag.
Es gab einen Seiteneingang in Carruber’s Close, einer schmalen Gasse; zur
anderen Seite hin lag eine noch schmalere Gasse namens North Gray’s Close, die
über keinen Eingang zur

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