Bis ich dich finde
Muhleisen in
Straßburg gebaut worden.
Jack blickte auf die Kirchenbesucher hinunter und sah, daß selbst
diejenigen, die standen, dem Altar und nicht der Orgel zugewandt waren.
»Offenbar will niemand etwas sehen«, sagte er zu Anna-Elisabeth.
»Gehen Sie einfach mit Dr. Horvath hinaus, wenn er es Ihnen sagt«,
sagte die Ärztin. »Wenn William gespielt hat, wird er Eiswasser brauchen, dann
heißes Wachs und dann noch einmal Eiswasser. Wenn Sie am späten Vormittag nach
Kilchberg kommen, können Sie vielleicht mit ihm und Dr. Horvath joggen gehen.
Später am Nachmittag können Sie dann hören, wie er mit Augenbinde für die
Yogagruppe spielt. Oder Sie können sich mit ihm zusammen einen Ihrer Filme
ansehen!« sagte sie aufgeregt. »Nur gehen Sie, wenn es soweit ist, ja? Ich
meine es ernst.«
»Gut«, sagte Jack.
Als Dr. Horvath und Jacks Vater die Treppe zur Empore heraufkamen,
wandten viele Kirchenbesucher die Köpfe, um [1134] William Burns anzusehen. William
war voll konzentriert und beachtete niemanden, nicht einmal Jack. Nur für die
Orgel hatte er ein Nicken. Jack spürte, daß Dr. Krauer-Poppe ihn leicht am Arm
berührte. Sie wollte ihm zu verstehen geben, daß William nun einmal so war,
bevor er spielte. (Wie hatte sie es am Abend zuvor formuliert? »William ist,
wie er ist.«)
Er wurde nicht mit Applaus begrüßt. Nicht einmal ein Murmeln
ertönte, aber Jack hatte noch nie ein so respektvolles Schweigen gehört.
Dr. Horvath trug die Noten. (Es sah nach einer ganzen Menge Noten
aus.) »Normalerweise spielt er eine Stunde«, flüsterte er Jack laut ins Ohr.
»Aber heute spielt er eine halbe Stunde länger, weil Sie da sind!«
Natürlich hörte Dr. Krauer-Poppe ihn. Vielleicht hörten sämtliche
Kirchenbesucher Dr. Horvath flüstern. »Halten Sie das für eine gute Idee,
Klaus?« fragte sie ihn.
»Gibt es dagegen eine Tablette?« fragte Jacks Vater die Ärztin, aber
Jack merkte, daß sein Vater sie bloß auf den Arm nahm. Sein boshaftes Lächeln
war wie gehabt. Als er sich auf die Orgelbank setzte, schaute er Jack in die
Augen, als hätte ihm Jack genau in diesem Moment gesagt, wie sehr er ihn und
jeden Zentimeter seiner Haut liebte. »Hast du daran gedacht, deine Schwester anzurufen,
Jack?« fragte ihn sein Vater.
»Natürlich habe ich sie angerufen. Wir haben geredet und geredet.«
»Mein lieber Junge«, sagte William nur. Sein Blick hatte sich auf
das Manual gerichtet; Jack hörte, wie die Füße seines Vaters leise über die
Pedale streiften.
Anna-Elisabeth hatte Dr. Horvath die Noten aus der Hand genommen und
blätterte sie durch. »Ich sehe da mögliche Krämpfe in den Fingern – und zwar
reichlich«, sagte sie zu ihm.
»Und ich sehe Noten«, sagte William und zwinkerte ihr zu. »Und zwar
reichlich.«
[1135] Jack war nervös und zählte die Leuchter. (Sie bestanden aus Glas
und Silber, und es gab davon achtundzwanzig.)
»Später gehen wir joggen!« sagte Dr. Horvath zu ihm. »Und heute
abend gehe ich mit William und Ihnen essen. Wir geben den Mädchen für den Abend
frei!«
»Schön – darauf freue ich mich schon«, sagte Jack.
»Es ist leider nicht die Kronenhalle«, sagte Dr. Horvath. »Aber es
ist ein ganz spezielles kleines Lokal. Ich kenne den Besitzer, und er mag Ihren
Vater. Sie verhängen dort immer die Spiegel, wenn sie wissen, daß William
kommt!« flüsterte Dr. Horvath so laut, daß alle ihn hören konnten. »Na, wie
finden Sie das?«
» Bitte, Klaus!« sagte Dr. Krauer-Poppe.
Jack sah, daß sie für seinen Vater, der bereit zu sein schien, umblättern
würde. Von den Kirchenbesuchern blickte keiner mehr in ihre Richtung. Die Leute
wandten das Gesicht dem strengen Gebot aus dem Mätthäus-Evangelium zu: »Du solt anbätten den Herren deinen Gott und Ihm allein dienen.«
William hob die Hände über dem Manual auf Schulterhöhe. Jack hörte
ihn tief Atem holen. Die Art, wie die Kirchenbesucher sich gerade aufsetzten,
verriet Jack, daß sie seinen Vater ebenfalls gehört hatten: Es war ein Signal.
»Los geht’s!« sagte Dr. Horvath, senkte den Kopf und schloß die
Augen.
Williams Hände schienen auf einem warmen, aufsteigenden Luftstrom zu
schweben wie ein Falke auf einer Thermik. Dann ließ er die Hände herabfallen.
Es war ein Stück von Bach, ein Choralpräludium: »Liebster Jesu, wir sind hier.«
»Tranquillo«, sagte Dr. Horvath
überraschend leise auf italienisch.
Danach hörte Jack einfach seinem Vater beim Spielen zu. Jack konnte
es nicht
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