Bis ich dich finde
berührt.
»Möchtest du mich berühren, Jack?« fragte
Emma. »Na los – du kannst es mir ruhig sagen.«
[211] Er reichte ihr nicht einmal bis zur Schulter, auch jetzt nicht,
als sie zusammengesunken auf dem Rücksitz saßen, und plötzlich hatte er den
starken Wunsch, den Kopf an ihre Brust zu legen, genau zwischen die Kehle und
die sich schwach abzeichnenden Brüste. Doch das Attraktivste an ihr war noch
immer der Schnurrbart, und er wußte, wie empfindlich sie reagierte, wenn ihn
jemand berührte.
»Das ist also geklärt«, sagte Emma. »Du möchtest mich nicht
berühren. Noch nicht.« Jack war traurig, die Gelegenheit verpaßt zu haben, und
das war ihm anzusehen. »Sei nicht traurig, Jack«, flüsterte Emma. »Das kommt
schon noch.«
»Was kommt schon noch?«
»Du wirst wie dein Vater sein – wir zählen auf dich. Du wirst viele
Türen öffnen, Jack.«
»Was für Türen?« Als sie nicht antwortete, nahm er an, daß er wieder
auf etwas aus der Noch-nicht-alt-genug-Kategorie gestoßen war. »Was ist ein
Casanova?« fragte er, um das Thema zu wechseln.
»Einer, der nie genug Frauen haben kann, mein Süßer – einer, der
eine Frau nach der anderen haben will, ohne sich zwischendurch auszuruhen.«
Also nicht ich, dachte Jack. Er trieb in einem Meer von Mädchen und
konnte sich nicht vorstellen, noch mehr zu wollen. In der Kapelle von St. Hilda
waren auf den Buntglasfenstern hinter dem Altar vier Frauen dargestellt –
Heilige vermutlich –, die Jesus bedienten. In St. Hilda war sogar Jesus von
Frauen umgeben. Frauen waren überall!
»Und was sind Almosenempfänger?« fragte er Emma.
»Im Augenblick du und deine Mutter.«
»Aber was bedeutet das?«
»Ihr seid von Mrs. Wicksteeds Geld abhängig, Jack. Keine
Tätowiererin verdient so viel Geld, daß sie ihr Kind in St. Hilda zur Schule
gehen lassen könnte.«
[212] »Da wären wir, Miss«, sagte Peewee, als wäre Emma sein einziger
Passagier. Er hielt an der Ecke Spadina Road und Lowther Street an, wo Lottie
bereits wartete. Sie verlagerte beim Stehen das Gewicht auf ein Bein.
»Sieht so aus, als ob Hinkefuß auf dich wartet«, flüsterte Emma Jack
ins Ohr.
»Oh, hallo, Emma. Du liebe Zeit, bist du aber gewachsen!« stieß
Lottie hervor.
»Keine Zeit für Plaudereien, Lottie«, sagte Emma. »Jack tut sich
schwer, ein paar grundlegende Sachen zu verstehen, und ich bin dabei, ihm zu
helfen.«
»Du liebe Zeit«, sagte Lottie und humpelte hinter ihnen her. Emma
ging mit großen Schritten voraus und führte Jack zur Haustür.
»Die Wicksteed macht bestimmt ihren Mittagsschlaf«, flüsterte Emma.
»Wir müssen leise sein, damit wir sie nicht wecken.«
Jack hatte noch nie gehört, daß jemand Mrs. Wicksteed als »die
Wicksteed« bezeichnet hatte, doch Emma Oastlers Autorität in diesen Dingen
stand außer Frage. Sie kannte sogar die Hintertreppe, die von der Küche zu
Jacks und Alice’ Zimmern führte.
Später löste sich das Rätsel: Emma Oastlers geschiedene Mutter, das
männerhassende Ungeheuer, war mit Mrs. Wicksteeds geschiedener Tochter
befreundet – daher ihre übereinstimmende Einschätzung, Alice und Jack seien
mietfreie Mieter. Auch Emmas Mutter und Mrs. Wicksteeds Tochter waren
Ehemalige; sie waren in St. Hilda in derselben Klasse gewesen. (Sie waren nicht
viel älter als Alice.)
Emma rief hinunter zu Lottie, die ziellos in der Küche umherhumpelte:
»Wenn wir irgendwas brauchen – Tee oder so –, dann kommen wir runter und holen
es uns. Sie brauchen nicht extra raufzukommen, Lottie. Ruhen Sie Ihr Bein doch
mal aus.«
[213] In Jacks Zimmer schlug Emma als erstes die Bettdecke zurück und
untersuchte das Laken. Sie schien enttäuscht und legte die Decke wieder auf.
»Also hör zu, Jack – ich sag dir jetzt, was passieren wird, wenn auch noch
nicht so bald: Eines Morgens wirst du aufwachen, und in deinem Bett wird eine
Schweinerei sein.«
»Was für eine Schweinerei?«
»Das wirst du dann schon sehen.«
»Aha.«
Emma war weitergegangen, durch das Badezimmer und dann ins Zimmer
seiner Mutter, und hatte ihn seinen Spekulationen über diese Schweinerei
überlassen.
In Alice’ Zimmer roch es nach Gras, obwohl Jack sie dort nie einen
Joint hatte rauchen sehen. Wahrscheinlich hing der Geruch in ihren Kleidern. Er
wußte, daß sie beim Chinesen ab und zu etwas rauchte, denn manchmal rochen ihre
Haare nach Marihuana.
Emma schnüffelte anerkennend und warf Jack einen verschwörerischen
Blick zu. Sie unterzog den Kleiderschrank
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