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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Wochenende in Aberdeen verbracht – eines
von diesen Wochenenden, an denen alles schiefgegangen war –, mit dem Ergebnis,
daß er für den Rest seines Lebens Aberdeen-Bill hieß. Als junger Mann war
Aberdeen-Bill mit dem Zirkus gereist. Nachts hatte er die Zirkusleute in ihren
Zelten tätowiert, gewöhnlich beim Schein einer Öllampe. Er hatte gelernt, seine
beste schwarze Tinte aus dem Ruß von Öllampen herzustellen, den er mit Melasse
vermischte.
    Bevor Jack und seine Mutter im Herbst 1969 nach Europa aufbrachen,
schrieb Alice alle Tätowierer in den Städten auf ihrer geplanten Reiseroute an,
von denen sie gehört hatte. Sie habe ihr Handwerk im Studio Persevere in Leith
gelernt, schrieb sie; eigentlich hätte es gereicht zu sagen, daß sie
Aberdeen-Bills Tochter war. Ein Tätowierer in diesen Nordseehäfen, der nicht
von Aberdeen-Bill gehört hatte, war seine Nadeln nicht wert.
    Ihr erstes Ziel war Kopenhagen. Die Adresse von Ole Hansens Studio
lautete Nyhavn 17; Ole hatte Alice’ Brief erhalten und erwartete sie. Wie
Aberdeen-Bill war auch Tatovør-Ole ein Mann der Seefahrt. (Er hätte sich
niemals als Künstler bezeichnet, sondern nannte sich schlicht »Tätowierer«.)
Und wie Aberdeen-Bill war auch Tatovør-Ole jemand, unter dessen Händen viele
Herzen und Meerjungfrauen, Schlangen und Schiffe, Flaggen und Blumen,
Schmetterlinge und nackte Frauen entstanden.
    [31]  Es war Tatovør-Ole – damals ein Mann von Anfang Vierzig –, der
Alice ihren Künstlernamen gab. Sie trat mit Jack in Oles Studio am Nyhavn, wo
das kabbelige Wasser des grauen Kanals an die Schiffsrümpfe klatschte – es war
spät im November, und von der Ostsee wehte ein frischer Wind. Ole sah von der
Tätowierung auf, an der er gerade arbeitete: eine nackte Frau auf dem breiten
Rücken eines halbnackten Mannes.
    »Du mußt Tochter Alice sein«, sagte er. Und so hatte Alice einen
Künstlernamen, noch bevor sie ein eigenes Studio besaß.
    Tatovør-Ole stellte sie sofort ein. In der ersten Woche tätowierte
Ole die Konturen und überließ Alice die Schattierungen. Danach hatte sie freie
Hand.
    Bei Tatovør-Ole zählte nur eines: daß er ein Mann der Seefahrt war
und daß Tochter Alice tat, was er ihr sagte. Immerhin hatte sie bei ihrem Vater
gelernt; sie hatte ihre ersten Tätowierungen mit der Hand gestochen, bis Bill
ihr schließlich die Handhabung der elektrischen Maschine erklärt hatte.
    Vom Studio ihres Vaters in Leith war Alice mit den Acetatschablonen
vertraut, die Tatovør-Ole verwendete. Sie zeichnete ein gebrochenes oder
entzweigerissenes Herz oder ein blutendes, mit dornigen Rosen umkränztes Herz.
Sie zeichnete schaurige Totenschädel und gekreuzte Knochen oder feuerspeiende
Drachen. Sie zeichnete beeindruckende Versionen von Christus am Kreuz und eine
wunderschöne Jungfrau Maria, über deren Wange eine grüne Träne rann. Sie
zeichnete eine Göttin, die im Begriff war, mit einem Schwert eine Schlange zu
köpfen. Sie zeichnete Schiffe auf hoher See, alle möglichen Anker und eine
Meerjungfrau, die im Damensitz auf einem Delphin ritt. Sie zeichnete auch
eigene nackte Frauen und weigerte sich, Oles Schablonen zu benutzen.
    An Tatovør-Oles nackten Frauen störte Alice etwas: Der schmale
Streifen ihres Schamhaars war gewölbt wie eine auf dem Kopf stehende
Augenbraue, wie ein von einer vertikalen Linie [32]  geteiltes Lächeln. Diese
Frauen hatten oft mehr Haare in den Achselhöhlen. Doch die einzige Kritik, die
Alice gegenüber Tatovør-Ole äußerte, war die Bemerkung, sie zeige ihre nackten
Frauen lieber »von hinten«.
    Oles anderer Lehrling, Lars Madsen, hieß Herzensbrecher-Lars oder
Herzensbrecher-Madsen. Er war ein nicht sonderlich selbstsicherer junger Mann,
der Alice anvertraute, er möge nackte Frauen so, wie er sie bekommen könne.
»Von vorne und von hinten.«
    Worauf Alice, wenn überhaupt, antwortete: »Nicht wenn Jack dabei
ist.«
    Der Junge mochte Herzensbrecher-Lars. Seine Mutter hatte ihn so
gut wie nie in das Studio des Chinesen in Toronto mitgenommen. Obwohl Jack eine
Menge über ihre Ausbildung und ihre Fertigkeiten als Tätowiererin wußte, hatte
seine Mutter nie Wert darauf gelegt, daß er ihr bei der Arbeit zusah. Doch in
Kopenhagen gab es keine Lottie, und bis Tatovør-Ole zwei Zimmer mit Bad in der
Angestelltenetage des Hotel d’Angleterre für sie fand, schliefen Jack und seine
Mutter im Studio.
    »Ich schlafe mal wieder in den Nadeln«, sagte Tochter Alice, als
hätte sie dabei gemischte

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