Bis in alle Ewigkeit
auf einer Jacht und reiste ständig um den Erdball, um das ganze Jahr über seinen ganz persönlichen Frühling zuerleben. Pjotr Colt hatte sich eben dieses Hobby ausgesucht – alte Kulte, Ausgrabungen und Okkultismus in der Geschichte der Geheimdienste.
Die ersten Begegnungen mit dem alten Mann waren eine Qual. Agapkin konnte stundenlang über Helme zur Gedankenübertragung, über die Entschlüsselung alter Manuskripte und Agentencodes, über Expeditionen ans Weiße Meer und nach Tibet, über Bluttransfusionen und das Kreuzen von Menschen mit Affen reden. Aber sobald der Name Sweschnikow fiel, begann sein Kinn zu zittern, und er murmelte klagend: »Was wollen Sie noch von mir? Ich erinnere mich an nichts.«
So verging ein Monat, ein zweiter. Subow und Colt hatten schon fast die Hoffnung aufgegeben, doch eines Tages murmelte Agapkin gegen Ende eines Gesprächs etwas Seltsames: »Wenn er erfährt, dass das von mir kommt, gibt er es auf keinen Fall heraus. Er will, dass ich mich ewig quäle. Er findet, dass ich auf diese Weise bestraft bin und so die Gerechtigkeit triumphiert.«
Nach diesen Worten fing der Alte bitterlich an zu weinen. Subow war verwirrt, Colt aber tat etwas Überraschendes. Er holte ein Taschentuch heraus, wischte die Tränen von den Pergamentwangen, streichelte dem Alten den Kopf wie einem Kleinkind und sagte: »Na, na, schon gut, beruhige dich. Ich bin bei dir, du wirst dich nicht länger quälen, das Schlimme ist vorbei, vor dir liegt nur Gutes, er wird dir verzeihen und alles herausgeben.«
Subow öffnete erstaunt den Mund und schaffte es gerade noch, das kleine Diktiergerät einzuschalten, das er längst resigniert weggesteckt hatte.
Seitdem hatte Colt die zweistündige Aufnahme so oft gehört, dass er Agapkins Bericht beinahe auswendig kannte. Er wurde das Gefühl nicht los, den wichtigsten Deal seines Lebens gemachtzu haben, und obgleich es bis zum Sieg noch weit war, fühlte er sich bereits zehn Jahre jünger. Er hielt sich aufrecht, jagte in einem nagelneuen silbergrauen Sportwagen durch Moskau, trug statt des strengen Anzugs nun modische sackartige Jeans, statt Krokodillederschuhen orangerote Turnschuhe und hatte als Begleiterin statt des üblichen mageren Models das pralle, wohlgenährte Tierchen Jeanna gewählt.
Die Massagestrahlen kitzelten angenehm seinen Körper. In dem geräumigen Badezimmer stand eine Stereoanlage, Colt hörte dort besonders gern Musik. Doch jetzt klangen nicht Mozart, Tschaikowski oder die Beatles aus den Boxen.
Colt hatte eine CD aufgelegt, die ihm vor zwei Stunden ein Bote von Subow gebracht hatte.
Es war ein Gespräch zwischen einem Mann und einer Frau. Die Stimme des Mannes klang dumpf und undeutlich, und Colt registrierte mechanisch, dass das neue Gebiss des Alten schlecht saß.
Die Frau sprach deutlich und war merklich aufgeregt.
» … wer da meinen Vater auf dem Arm hält? Der junge Mann in der Uniform eines SS-Leutnants, wer ist das?«
»Bitte nicht schreien. Das ertrage ich nicht.«
»Ich schreie gar nicht, aber wenn Sie es so empfunden haben, entschuldigen Sie bitte.«
»Woher haben Sie die Fotos?«
»Mein Vater hat sie aus Deutschland mitgebracht.«
»Dmitri? Aus Deutschland mitgebracht? Warum kommen Sie dann damit zu mir? Fragen Sie ihn.«
»Das kann ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Er ist gestorben.«
»Wann?«, fragte er dumpf.
»Vor elf Tagen.«
»Wie ist es passiert?«
»Er war gerade aus Deutschland zurückgekommen. Er war ein wenig seltsam, düster. Aber er klagte nicht über Herzbeschwerden, er war überhaupt ein gesunder Mann. Die ganze letzte Zeit, vor der Reise und danach, hat er sich mit irgendwem getroffen. Am Abend vor seinem Tod war er in ein Restaurant eingeladen worden, er hat mich am späten Abend angerufen, ich sollte ihn mit dem Auto abholen. Er wartete draußen vorm Restaurant auf mich. Am nächsten Morgen wollte er mir etwas Wichtiges erzählen. Doch in der Nacht ist er gestorben. Die Ärzte sprachen von akutem Herzversagen.«
»Er ist tot. Also haben sie ihn nicht überreden können.«
Colt drehte den Wasserhahn zu, runzelte die Stirn, griff nach der Fernbedienung am Wannenrand und ließ diesen Abschnitt noch einmal laufen.
Moskau 1917
Viele Kollegen konnten Professor Sweschnikow nicht verzeihen, dass er die Freiheitsfeier im Büro des Chefarztes verdorben hatte. Besonders verübelten sie ihm die Erwähnung des Eides. In einem Lazarett hatten die meisten Ärzte einen militärischen Rang. Ob der Imperator nun
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