Bis in alle Ewigkeit
Arm werden sie alle hungers sterben!«, schrie Jermolajew und tobte auf dem OP-Tisch so herum, dass man ihn unmöglich festhalten und narkotisieren konnte.
»Na, na, schon gut. Beruhige dich. Wir werden den Splitter rausholen und den Arm retten«, sagte Sweschnikow.
»Sie machen ihm zu Unrecht Hoffnungen«, flüsterte Potapenko, »Sie sehen doch, die Entzündung ist ins Schultergelenk weitergewandert.«
»Ohne Hoffnung stirbt er unter der Narkose«, entgegnete Agapkin für den Professor.
Agapkin war vollständig von seiner Krankheit genesen. Allerdings sah er ein wenig seltsam aus. Er hatte sich den Kopf kahlgeschoren. Nach den vielen Fiebertagen waren ihm die Haare büschelweise ausgefallen. Seine Haut war gerötet und schuppte sich. Wahrscheinlich, weil er während seiner Krankheit zu viele Zitronen gegessen und sich häufig mit Essigessenz abgerieben hatte.
Sobald Agapkin wieder auf den Beinen war, wich er dem Professor nicht von der Seite, assistierte ihm bei Operationen, untersuchte Patienten, kontrollierte, ob die Verordnungen des Professors strikt eingehalten wurden, und erinnerte diesen daran, dass er etwas essen müsse. Eine Ausnahme waren die Nachtdienste.
Konnte Agapkin früher mühelos die Nacht zum Tag machen und vierundzwanzig Stunden ohne Schlaf auskommen, wurde er nun nach Mitternacht unweigerlich müde, tappte wie ein Schlafwandler in einen dunklen Raum oder löschte das Licht und konnte sogar im Sitzen einschlafen. Gelang es ihm bis zwei Uhr nachts nicht, in die Dunkelheit zu fliehen, wurde er von furchtbaren Kopfschmerzen gepeinigt und fühlte sich anschließend den ganzen Tag krank und zerschlagen.
Zum Glück hatte Agapkin in der Nacht zum 5. März wunderbargeschlafen. Die bevorstehende Operation war langwierig und kompliziert. Alle außer ihm und dem Professor erörterten nebenher die Ereignisse in Petrograd. Genaue Informationen gab es bislang nicht. Die Zeitungen erschienen seit Ende Februar unregelmäßig und mit Verspätung. Die Hauptquelle waren Gerüchte.
Doktor Potapenko ereiferte sich darüber, ob es wahr sei, dass das Wolhynische Regiment sich geweigert habe, auf die aufständischen Arbeiter auf dem Newski-Prospekt zu schießen. Das tat er so hitzig und verbissen, dass er dem Professor anstelle des Skalpells eine Torsionspinzette reichte. Der Narkosearzt Doktor Grunski bemerkte nicht, dass die Wimpern des Patienten bebten und er jeden Moment aufwachen würde.
Agapkin schaffte es gerade so, die Fehler der anderen zu korrigieren, und bewunderte unwillkürlich Sweschnikows exakte, rasche Bewegungen. Außer ihnen beiden schien sich niemand im OP-Saal für den Mann auf dem Tisch zu interessieren. Gegen die große Revolution war der rechte Arm von Feldwebel Jermolajew eine Bagatelle.
Der Splitter wurde entfernt, die Wunde gesäubert und zugenäht. Nun blieb abzuwarten, wie sie verheilte. Jermolajew lag im Krankenzimmer und erwachte allmählich aus der Narkose. Tanja saß bei ihm. Sie hatte Nachtdienst gehabt und kämpfte mit aller Kraft gegen die Müdigkeit an, weigerte sich aber, nach Hause zu gehen, sie blieb bei dem Feldwebel, um seinen Puls zu kontrollieren und rechtzeitig zu reagieren, falls eine Blutung auftreten oder die Temperatur steigen sollte. Das tat sie bei jedem Patienten, den ihr Vater operiert hatte.
Jermolajew regte sich, stöhnte, hob die Lider und krächzte kaum hörbar: »Mein Arm!«
»Dein Arm ist noch dran«, sagte Tanja.
»Ich spüre nichts. Ich glaube es nicht.«
Tanja drückte sanft seine Hand, überprüfte dabei, ob die Finger sich beugen ließen, und fragte: »Spürst du es jetzt?«
Jermolajew atmete heftig und laut, schluchzte auf, schniefte, leckte sich die Lippen und murmelte: »Heilige Gottesmutter, sie haben ihn mir gelassen! Sie haben ihn bewahrt, meinen Arm, meinen Kindern ihr Stück Brot, sie haben nicht zugelassen, dass meine Frau Dunja und meine Mutter Serafima Petrowna hungers sterben, ich werde mein Leben lang für Professor Michail Wladimirowitsch beten.«
Durchs offene Fenster drangen Lärm und Getrappel, einzelne Rufe waren zu hören: »Nieder mit der Regierung! Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Deutschen!«, dann wurde die Marseillaise gesungen.
Das Fenster ging auf die Pretschistenka hinaus. Der zertrampelte Schnee war mit den Schalen von Sonnenblumenkernen übersät. Menschen mit roten Fahnen und Transparenten zogen vorbei. Tanja schloss das Fenster und kehrte zum Feldwebel zurück.
»So, genug geweint. Schlaf jetzt.«
Sein
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