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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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Murmeln wurde immer leiser, immer ruhiger. Tanja schloss nur für einen Moment die Augen, lehnte den Kopf gegen die Wand und schlief sofort ein. Sie träumte von Danilow. Wieder kamen keine Nachrichten von ihm. Es kursierten schreckliche Gerüchte über Aufstände in den Regimentern, darüber, dass Soldaten ihre Offiziere erschossen und aufhängten.
    Danilow stand in der Tür, einen weißen Kittel über den Uniformmantel geworfen, die Mütze in der Hand. Er schaute sie an, dann rief er leise, flüsternd: »Tanetschka!«
    »Sie schläft, sie ist ganz erschöpft von der Nacht«, sagte eine Stimme neben ihm, »soll ich sie wecken?«
    »Nicht nötig, ich warte.«
    Tanja öffnete die Augen. Er war tatsächlich hier im Zimmer, lebendig und unversehrt. Neben ihm stand Schwester Arina.
    »Geh schon, ich bleibe hier. Aber passt auf da draußen, seid vorsichtig, da laufen wieder diese Leute mit den roten Fahnen rum.«
    Im Flur umarmten sie sich.
    »Tanja, ich weiß Bescheid über Wolodja. Ich habe versucht, früher zu kommen, aber es ging nicht. Michail Wladimirowitsch ist gerade oben im Offizierszimmer. Ich habe ihn schon gesehen. Er hält sich gut, ist nur schrecklich dünn geworden. Sie übrigens auch. Schlafen Sie denn gar nicht?«
    »Wieso? Natürlich schlafe ich. Sie haben mich doch gerade schlafend angetroffen.«
    Sie gingen zur Treppe. Plötzlich drehte sich Tanja abrupt um. Im Flur stand Agapkin und schaute sie beide an. Tanja nickte ihm zu, der Oberst verbeugte sich. Agapkin reagierte mit einer höflichen leichten Verbeugung und verschwand hinter der nächsten Tür.
    Es gab keine Droschken. Auf der vollgespuckten Fahrbahn bewegte sich erneut eine Demonstration mit Fahnen, Transparenten, roten Schleifen und roten Armbinden. Tanja und Danilow mussten lange warten, bis sie vorbei war.
    »Es lebe die Demokratie!«
    »Nieder mit dem Krieg!«
    »Schutzleute an die Laternenpfähle!«
    »Friede den Hütten, Krieg den Palästen!«
    Die Stimmen klangen kreischend, es waren meist Frauen. Von dem Geschrei wurden die Ohren taub. Ein junger Arbeiter mit einer Schirmmütze und in einem offensichtlich fremden schwarzen Mantel blieb stehen und starrte Danilow mit verquollenen Augen an. Er spuckte eine an seiner Lippe klebende Zigarettenkippe aus und schrie in übermütigem Falsett: »Offiziere an die Wand!«
    Tanja zog den Oberst heftig am Arm.
    »Gehen wir durch die Gasse.«
    Auf dem Weg zur Brestskaja erzählte Danilow, dass der Zar zugunsten von Großfürst Michail Alexandrowitsch abgedankt habe. In der Nacht vom zweiten auf den 3. März, in Pskow.
    »In Petrograd herrschen Chaos und Angst, die Truppen laufen auf die Seite der Aufständischen über. Auch Michail hat abgedankt. Was weiter wird, ist ungewiss.«
    »Und Alexandra Fjodorowna und die Kinder?«, fragte Tanja.
    »Sie sind in Zarskoje, sie haben die Masern.«
    »Haben Sie es Papa schon gesagt?«
    »Nein. Bis jetzt nur Ihnen.«
    Auf der Twerskaja lief eine weitere Demonstration, die gleichen Fahnen, Schleifen, Ausrufe.
    »Nieder mit der Regierung!«
    »Nieder mit dem Krieg!«
    »Nieder mit der Deutschen!«
    Es gab keine Regierung mehr. Niemanden mehr, der den Krieg fortführte. Die Regimenter rebellierten, Tausende Soldaten desertierten, Offiziere wurden erschossen oder totgeschlagen. Die Zarin, hilflos und verloren, wartete in Zarskoje Selo mit den kranken Kindern auf ihren Mann, Oberst Romanow.
    Petrograd war voller Blut und Ruß. Die Moskauer Straßen waren bislang nur mit den Schalen von Sonnenblumenkernen übersät. Von den Handelshäusern der Hoflieferanten wurde der doppelköpfige Adler heruntergerissen. Die Sirenen der streikenden Fabriken heulten. Schaufensterscheiben wurden eingeschlagen. Die Städte füllten sich mit Deserteuren und Kriminellen. In der Redaktion des populären Magazins »Niwa« klapperten energisch die Schreibmaschinen.
    »Russland ist frei! Uns allen, den russischen Menschen, ist das Los zugefallen, die Schöpfer eines neuen russischen Zeitalterszu werden. In den Frühlingsfluten des Februars wurde im großen Buch des Schicksals unseres Volkes vor unseren Augen die letzte Seite der unwiderruflich vergangenen schändlichen Ordnung umgeblättert!«
    Am Abend versammelte der Chefarzt des Lazaretts alle in seinem Büro.
    »Herrschaften, der Zar hat abgedankt. Ein Manifest wurde unterzeichnet. Russland ist frei.«
    Einige applaudierten, einige drückten dem Nebenmann die Hand. Alle beglückwünschten einander, sogar Champagner tauchte auf.

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