Bis in alle Ewigkeit
Fässer mit Farbe standen herum. Madame Cottie hatte beschlossen, ihr Atelier um den Keller zu erweitern. Sie hatte die Ratten vergiftet, das Gerümpel hinausgeschafft und eine Renovierung in Angriff genommen. Die ist nun beendet. Im Keller arbeiten jetzt Hutmacherinnen.«
»Und die Spenderratte war die einzige, die Parasitenzysten in der Epiphyse hatte?«, fragte Agapkin rasch und leckte sich die ausgetrockneten Lippen.
»Nein. Insgesamt waren sieben Tiere Träger des Parasiten. Und sie alle stammten von dort, aus diesem Keller.«
»Wir müssen andere suchen.«
»Oh, dafür müssten wir alle Ratten in Moskau fangen und bei jeder eine Schädeltrepanation vornehmen. Ein nobles Vorhaben, aber wohl kaum zu bewältigen. Uns fehlt die Flöte des Rattenfängers.«
»Und was nun?«
»Wir müssen sorgsam hüten, was wir haben. Beobachten. Nachdenken. Die Parasitologen, denen ich unser Prachtexemplar gezeigt habe, versichern, dass er am ehesten an einen Bandwurm erinnert. Bekannt sind über zwölftausend Arten von Bandwürmern, aber es existieren viel mehr. Entstanden sind sie im Proterozoikum, also vor über einhundert Millionen Jahren. Sie lebten in den Därmen und Mägen von Dinosauriern, Mammuts und Urzeitechsen und haben die Eiszeit glücklich überstanden. Einige Arten haben sich im Laufe der Evolution verändert, sich an neue Arten von Wirbel- und Säugetieren angepasst. Andere hingegen blieben unverändert. Sie können unglaublich lange im Zystenstadium verharren, als würden sie abwarten, bis ein neuer Abschnitt der Evolution ihnen einen neuen, noch perfekteren Wirt beschert. Lebensfähige Eier dieser Parasiten wurden in versteinerten Skeletten von Urzeittieren gefunden, in alten Grabstätten, in Mumien. Ihr Lebenszyklus ist unendlich vielfältig und rätselhaft. Doch die Forscher scheinen sich nicht sonderlich viele Fragen zu stellen. Wie findet der Parasit den Weg über Blutbahn und Gewebe des Wirts genau zu dem Organ, in dem er sich niederlassen möchte? Wie schaffen es die mikroskopisch kleinen Zysten, die Reflexe und das Verhalten ihres Zwischenwirts zu verändern? Fische schwimmen an die Oberfläche, um möglichst rasch von einem Säugetier gefressen zu werden. Mäuse verlieren die Angst und laufen direkt in die Pfoten einer Katze. Wider den Selbsterhaltungstrieb strebt das infizierte Tier seinem Tod entgegen, ähnlich wiegegenwärtig die roten Proletarier mit ihrer Marseillaise. Hören Sie, sie singen die ganze Zeit grauenhaft falsch.«
Der Professor stand auf und schloss das Fenster. Es ging zum Hof hinaus, die Demonstration lief die Parallelstraße entlang und sang sehr laut. Hin und wieder drangen einzelne Ausrufe herüber, immer die gleichen Losungen: »Nieder mit der Regierung!«, »Friede den Hütten, Krieg den Palästen!« Aber es gab auch einige neue: »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!«, »Alle Macht den Sowjets!«
Agapkin schaute durch das dicke Glas mit den Löchern auf Grigori. Schon seit zehn Minuten saß der Ratz reglos da, nur seine Ohren zitterten ein wenig. Die rubinroten Augen folgten Agapkin unablässig. Als er sich absichtlich auf einen anderen Stuhl setzte, wechselte Grigori die Position und drehte sich zu ihm um.
»Das sind ja auch keine professionellen Sänger«, antwortete er dem Professor mechanisch, »viele haben ein ziemlich schlechtes Gehör.«
»Nicht nur ihr Gehör ist schlecht, auch ihre Augen und ihr Geruchssinn. Merken sie denn nicht, wie scheußlich es seit dem Sieg über den Zarismus in der Stadt riecht? Sie sind so beschäftigt mit ihren Märschen und Gesängen, dass sie ihre Notdurft unterwegs verrichten, in Torbögen und Hauseingängen. Dauernd spucken und schnauben sie auf die Straßen. Sehen sie etwa nicht, wie schmutzig alles geworden ist? Können Sie mir sagen, woher die vielen Sonnenblumenkerne kommen? Die ganze Straße ist voller Schalen.«
»Schwierigkeiten der Übergangsphase. Kinderkrankheiten des neugeborenen freien Russlands.« Agapkin versuchte zu lächeln, was aber misslang.
»Was sind Kinderkrankheiten? Mord? Raub? Chaos und Schmutz?«
»Nein. Ich rede nur von den Sonnenblumenkernen«, murmele Agapkin hastig und erschrocken.
Er vermied es normalerweise, mit dem Professor über die Vorgänge in Russland zu streiten. Sweschnikow reagierte immer gleich nervös und gereizt.
»Ich bitte Sie, beten Sie nicht diesen Kundgebungsquatsch nach, von wegen Russland sei neugeboren. Es existiert seit Hunderten von Jahren. Ein riesiges,
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