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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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betraten, hörten sie Rufe und Applaus.
    »Er ist da!«, sagte Brjanzew. »Wird empfangen wie ein Zar. Komm, wir sehen uns das an. Warte, ich bin gleich wieder bei dir.«
    Er lief hinunter und kam kurz darauf mit einem Opernglas zurück.
    Das offene Fenster ging auf den Platz hinaus. Aus einem Wagen stieg ein dünner kleiner Mann in Militäruniform und lief ein paar Schritte über das Trottoir. Brjanzew reichte dem Professor das Opernglas. Sweschnikow sah ein schmales Gesicht mit dunklem Teint, abstehende kleine Ohren, einen hochgezwirbelten Schnauzer, einen spitzen Kinnbart und ein glückliches Lausbubenlächeln.
    Am Nebenfenster stand ein alter Mann in Generalsuniform, nicht sehr groß, hager und aufrecht.
    »Alexej Alexejewitsch, meine Verehrung«, sagte Brjanzew mit einer Verbeugung, »gestatten Sie vorzustellen: Professor Sweschnikow, Michail Wladimirowitsch.«
    »Brussilow. Freut mich sehr.« Der alte General hatte einen kräftigen Händedruck. »Mit Ihrer Tochter Tatjana Michailowna ist also Oberst Danilow verheiratet?«
    »Ja. Pawel Nikolajewitsch ist mein Schwiegersohn.«
    »Nicht eben die beste Zeit zum Heiraten«, knurrte der General, »ich gestehe, ich habe ihm abgeraten. Im Fall eines bolschewistischen Aufstandes wird kaum jemand von uns überleben. Und der ist unausweichlich, meine Herren. Wir müssen mit der Waffe in der Hand auf die Straße gehen, eine Volkswehr aufstellen. Wir dürfen nicht länger zögern und auf das alte russische ›wird schon‹ hoffen.«
    Eine neue Welle von Rufen und Ovationen auf dem Platzunterbrach das Gespräch. Brussilow bat um das Opernglas und betrachtete das Ganze eine Weile schweigend.
    Inzwischen füllte sich das Foyer. Fotografen stellten ihre Dreibeine auf, Magnesiumblitze zuckten, Delegierte posierten gruppenweise und lächelten in Objektive.
    Sweschnikow hatte einen Platz im ersten Rang. Brjanzew brachte ihn hin, dann ging er zum Präsidium. Der Saal kam lange nicht zur Ruhe. Die Erregung war künstlich, ungesund. Jeder Redner wurde mit Ausrufen und Beifall begrüßt, während der Reden unterhielt sich das Publikum laut. Am stürmischsten war die Reaktion auf Kornilow.
    »Die Regierung muss begreifen, dass der Sieg im Krieg für Russland ungleich wichtiger ist als der Schutz der sogenannten Errungenschaften der Revolution. In dem halben Jahr seit dem Machtwechsel hat die Disziplin in der Armee katastrophal nachgelassen. An allen Fronten verbrüdern sich die Soldaten mit dem Feind. Wir geben eine Position nach der anderen auf. Die Truppen sind nicht nur handlungsunfähig geworden, sondern eine Gefahr für das eigene Volk.«
    Dann verlas der Oberkommandierende eine lange Liste mit Namen von Offizieren, die von ihren Soldaten getötet worden waren. Er sprach lange, leidenschaftlich und überzeugend. Der rechte Flügel, die Kadetten, Kosaken und die Delegierten vom Offiziersbund applaudierten stehend. Die Linken blieben sitzen und schwiegen.
    Gleich nach Kornilow trat Kerenski ans Rednerpult. Sein Gang und das Zucken seines Gesichts, als er in den Saal schaute, verrieten, dass der Kriegsminister kurz vor einem schweren Nervenzusammenbruch stand.
    »Möge das Herz zu Stein werden, mögen alle Saiten des Glaubens an den Menschen verstummen, mögen alle Blumen und Träume vom Menschen verdorren, über die hier von diesemPlatz aus so verächtlich gesprochen und auf denen so herumgetrampelt wurde!«, ertönte sein angenehmer, beinahe bühnenreifer Bariton.
    »Nicht doch!«, rief jemand aus dem Parkett.
    »Ich werde sie selbst zertrampeln! Nieder damit!«, entgegnete der Redner.
    »Übernehmen Sie sich nicht! Da macht Ihr Herz nicht mit!«, widersprach ein hoher Tenor vom ersten Rang.
    »Ich werde den Schlüssel zu meinem Herzen, das die Menschen liebt, weit fortschleudern, ich werde nur an den Staat denken!«, versprach Kerenski.
    Diese Worte begleitete er mit einer energischen Geste, als risse er sich etwas aus der Brust und schleuderte es weit von sich, und das so heftig, dass er das Gleichgewicht verlor und beinahe gestürzt wäre.
    »Es lebe die Provisorische Regierung!«, rief jemand im linken Flügel.
    »Gleich bekommt er einen Anfall«, flüsterte Sweschnikows Nachbar ihm ins Ohr. »Das ist keine Politik, das ist Hysterie.«
    Sweschnikow hörte zu und dachte: Seltsam. Russland geht unter. Es geschieht eine Tragödie unfassbaren Ausmaßes, aber ihre Akteure sind keineswegs Giganten, keine Genies des Bösen, sondern hektische kleine Dämonen, vollkommen nichtige

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