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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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Persönlichkeiten. Gespenster.
    Der Kongress endete mit einem totalen Fiasko, es wurde kein einziger Beschluss gefasst. Nun war endgültig klar, dass Russland keine handlungsfähige Regierung hatte und die Spaltung der Gesellschaft unüberwindbar war. Sweschnikow spürte beinahe physisch, wie die Erde unter seinen Füßen bebte.
    Anfang August kehrte Oberst Danilow nach Moskau zurück. Er erzählte schreckliche Dinge. An allen Fronten töteten Soldaten ungestraft Offiziere. Vor kurzem hätten sie mit Bajonetteneinen alten General erstochen, dem nach einer Verwundung beide Arme amputiert worden waren. Derartige Fälle in der Presse zu erwähnen sei nicht erwünscht. Der einzige Ausweg aus der blutigen Sackgasse sei die Liquidierung der Partei der Bolschewiki. Sie ruinierten die Armee, machten die Soldaten zu wilden Tieren, traktierten sie mit Agitation und Schnaps, tilgten die letzten Reste von Scham und Gewissen in den Menschen. Züge würden überfallen, in ganz Russland brannten die Dörfer, rasende Soldatenhorden fegten alles auf ihrem Weg hinweg, töteten und vergewaltigten. Unvorstellbar, dass dies Russen seien, dass sie so in ihrem eigenen Land hausten.
    Tanja zog wieder zu Danilow. Sie hatte die Aufnahmeprüfungen erfolgreich bestanden, aber keiner wusste, ob an den Hochschulen des Landes in diesem Herbst wie immer ein neues Studienjahr beginnen würde.
    Danilow besaß ein kleines Erbgut bei Samara. Er wollte den Dienst quittieren und mit Tanja dorthin ziehen. Sie weigerte sich – sie könne ihren Vater und ihren Bruder nicht verlassen, die Kurse nicht aufgeben. Sie stritten lange und recht heftig, bis der ehemalige Verwalter die Nachricht schickte, das Gut sei geplündert, das Haus abgebrannt.
    Andrej zeichnete eifrig alles, was er auf den Straßen Moskaus sah: Demonstrationen, rote Fahnen, Schlangen vor Lebensmittelläden. Die roten und schwarzen Stifte gingen schnell zu Ende, Farben gab es nicht zu kaufen. Sweschnikow nahm seinen Sohn nun oft mit ins Lazarett. Er hatte Angst, ihn allein zu Hause zu lassen, er wollte ihn in seiner Nähe wissen.
    Eines Tages gingen sie zu Fuß nach Hause, die Twerskaja entlang, vorbei an zerschlagenen Schaufenstern. Glassplitter knirschten unter ihren Füßen. Es war noch nicht dunkel, doch die Straßen waren menschenleer. Die Schutzleute waren verschwunden, es gab kaum noch Droschken, abends streiftenbewaffnete Wahnsinnige umher. Es war schmutzig und seltsam still. Der Nieselregen war schon herbstlich. Als sie den Triumfalnaja-Platz passierten, hörten sie hinter sich die Schritte schwerer Soldatenstiefel, Flüche und betrunkenes Lachen. Ohne sich umzudrehen, drückte Sweschnikow die Hand seines Sohnes und lief schneller.
    »Ein Vornehmer«, sagte eine heisere Stimme, »eindeutig ein Vornehmer. Bourgeoises Pack.«
    »Ein gutes Jackett hat er an«, fiel eine andere Stimme ein.
    »Und die Stiefeletten, ich glaube, die würden mir genau passen. O ja, schöne Stiefeletten. He, du, Wohl’born, haste was zu rauchen?«
    Sweschnikow drehte sich abrupt um, stellte sich schützend vor Andrej und umklammerte den kleinen Revolver in seiner Tasche.
    Sie waren zu dritt, hatten Gewehre, trugen Soldatenhemden lose über der Hose, ohne Gürtel, ohne Schulterstücke. Die Schirmmützen hatten sie in den Nacken geschoben, die Kokarden waren aus rotem Satin. Rote, verschwitzte Gesichter, irre glänzende Augen. Der Jüngste hatte einen lila Fleck unterm Auge. Eine alte Frau trippelte vorbei, schaute erschrocken, bekreuzigte sich und eilte davon.
    »Oh, Wohl’born kuckt aber böse, oh, da krieg ich ja Angst«, blökte der mit dem blauen Auge.
    »He, Burshui, wir ham dich was gefragt. Und du sagst nix. Also, haste Papirossy?« Ein älterer, glattrasierter und fetter Deserteur bleckte spöttisch sein lückenhaftes Gebiss.
    »Papirossy?« Der Professor tastete nach dem Abzug. »Erlauben Sie, meine Herren. Ich biete Ihnen gern etwas an.«
    »Papa!«, flüsterte Andrej erschrocken.
    Plötzlich schien der Dritte, der bislang geschwiegen hatte, gleichsam aufzuwachen, er öffnete die vom Wodka verquollenenAugen, rülpste laut, schniefte und sagte: »Der Doktor? Michail Wladimirowitsch?«
    »Ja. Der bin ich.«
    »Erkennen Sie mich nicht?« Der Deserteur lachte kläglich. »Ich sehe, Sie erkennen mich nicht. Jermolajew heiß ich. Ehemaliger Feldwebel. Sie haben mir den rechten Arm gerettet. Na? Erinnern Sie sich?«
    »Ich erkenne Sie. Ich erinnere mich. Sie wollten doch nach Hause zurückkehren, zu Ihrer

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