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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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Geschützkompanie im Kreml wurde erneut aufgefordert, sich zu ergeben. Die revolutionären Soldaten veranstalteten eine Kundgebung. Draußen wurden mehrere Warnschüsse aus einem Minenwerfer abgefeuert. Das war ein gewichtiges Argument. Die Soldaten erklärten sich bereit, den Kreml zu räumen.
    »Nicht schießen! Aufhören!«, rief Oberst Danilow, als eine verschreckte Menge in grauen Soldatenmänteln im Troizkije-Tor auftauchte.
    Das Haus in der Zweiten Twerskaja bebte, die Fensterscheiben klirrten. Die Granaten explodierten so nahe, dass es schien, als müsste das Haus bei der nächsten Explosion einstürzen.
    Die Mieter liefen in den Keller zum Hauswart, verkrochen sich unterm Bett, der Spiritist Bublikow saß in einer alten Truhe und versuchte, eine Sondersitzung der Geister diverser Staatsoberhäupter der Vergangenheit einzuberufen, von Alexander dem Großen bis zu Katharina II. Die Geister waren vermutlich ebenfalls nervös, denn bei einer Geschützsalve stürzte der Kronleuchter im Esszimmer von der Decke.
    Sweschnikow richtete sich auf dem Sofa so abrupt auf, dass er auf sein verletztes Bein trat und vor Schmerz aufheulte. Gleichzeitig stöhnte Tanja kurz und dumpf, bleckte die Zähne, ihre Halsadern schwollen an, in einem Auge platzte ein Äderchen.
    Unter ohrenbetäubendem Geschützdonner kamen ein behaarter kleiner Kopf mit großen Ohren und starrsinniger hoher Stirn und kräftige kleine Schultern zum Vorschein.
    Das Kind war größer und agiler als Sinas Tochter. Es kam mühelos und rasch auf die Welt und schrie sofort los.
    »Da ist er, unser Junge«, sagte Fjodor.
    Die Kanonen donnerten noch immer. Die Fahnenjunker griffen an. Sie besetzten den Brester Bahnhof und die Elektrizitätswerke.In den Häusern im Zentrum Moskaus ging das Licht an.
    Andrej hüpfte herum, klatschte in die Hände und rief »Hurra!«
    Die Kinderfrau Awdotja löschte glücklich schluchzend die nun unnötigen Kerzen und Petroleumlampen.
    Tanja sah und hörte nur ihr Kind. Fjodor tupfte ihr mit einer Serviette das feuchte Gesicht ab und streichelte ihr zerzaustes Haar. Sie schien es gar nicht zu bemerken. Der Junge weinte laut. Sie legte ihn an die Brust.
    Die Bezirke im Zentrum Moskaus waren in der Hand der Fahnenjunker. Die Bolschewiki kamen vom Chodynka-Feld und von den Arbeitervierteln am Stadtrand, umzingelten das Zentrum und schossen von den Sperlingsbergen mit schweren Geschützen. Von überall rückte Verstärkung an. Matrosen aus Petrograd, Rotarmisten aus Iwanowo-Wosnessensk.
    Fahnenjunker, Studenten und Offiziere im Ruhestand besetzten den Kreml. Diese letzten Verteidiger Moskaus in den Kremlmauern, im alten Herzen Russlands, wurden Weiße Garde genannt. Die Garde bestand aus Freiwilligen. Nur wenige von ihnen waren professionelle Militärs.
    Sie warteten auf Unterstützung, auf Truppen, auf Kosaken, sie glaubten, dass die Regierung noch irgendwo sei, sie müssten nur Verbindung zu ihr herstellen.
    Oberst Danilow wusste: Es würde keine Unterstützung kommen. Von nirgendwoher. Russland hatte keine Regierung mehr.

Siebzehntes Kapitel
Insel Sylt 2006
    Hier spiegelte sich nie der Himmel im Meer. Das Wasser war so kalt und schwer, dass es das Licht schluckte. Bei Sturm schäumten die Wellenkronen und sahen aus wie ein Abbild der dahineilenden kleinen Wolken. Der Nordwest, der ewige Herr über die Insel, jagte mit pfeifender Peitsche die Wolken wie eine verschreckte Schafherde, ließ das Meer schäumen, bog die Bäume, warf Gläser mit frischgepresstem Saft auf den Tischen der Strandcafés um und riss Lesenden die Zeitung aus den Händen.
    Hier badete niemand. Man saß im Strandkorb, atmete die jodhaltige salzige Luft, hüllte sich in Mäntel und Decken, schaute aufs Meer, lauschte dem Heulen des Windes, dem Rauschen der Wellen, den Möwenschreien und aß in den Strandrestaurants die berühmten Sylter Austern.
    Die wohlhabenden Deutschen, die diesen Ort für ihren Urlaub oder für ihren Lebensabend wählten, suchten Ruhe, Abgeschiedenheit und saubere Seeluft. Hier gab es keine Fabriken, es gab nur eine Austernfarm, alte Windmühlen und kleine Bäckereien. Hier mochte man keine Autos. Die Insel war so klein, dass man Fahrrad fuhr oder zu Fuß ging.
    Der alte Herr im Strandkorb unterschied sich kaum von seinen Nachbarn. Außer dass seine Beine nicht in eine karierte Decke gehüllt waren, sondern in ein weißes Mohairtuch, das er vor langer Zeit für ein paar Kopeken in der russischen Stadt Orenburg gekauft hatte. Wie viele hier

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