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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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vom Himmel, sondern als werde stechender Staub von den besudelten, mit Müll übersäten Trottoirs aufgewirbelt. Die zerschossenen Gaslaternen brannten wie Fackeln. Die Flammen stiegen hoch in den Himmel auf und wurden als blutroter Widerschein zurückgeworfen.
    Zum ersten Mal seit Tagen liefen Passanten die Twerskaja entlang, aber sie hatten sich verändert. Die Moskauer Straßen wurden beherrscht von einer neuen, nie gesehenen, kaum noch menschenähnlichen Art.
    Einzelne schauten sich gehetzt um, den Kopf eingezogen, als wären sie aus dunklen, stinkenden Höhlen gekommen. Zweier-oder Dreiergruppen benahmen sich ungehemmt wie in einem billigen Wirtshaus. Sie fluchten, grölten, lachten ungeniert lauthals und spuckten auf den Boden. Soldaten- und Arbeitermützen, Melonen und Zylinder, sichtlich von fremden Köpfen, waren keck in den Nacken geschoben. Die Kleidung stand offen, so dass man die Unterwäsche sah.
    Ein junger Mann in geflickten Filzstiefeln, aber einem teuren Herrenpelz kam Agapkin entgegen. Er rempelte ihn absichtlich an und hauchte ihm schweren Alkoholdunst ins Gesicht. Fjodor legte einen Schritt zu. Sich jetzt bloß nicht auf ein Handgemenge einlassen.
    Eine junge Frau in einer Plüschweste, unter der ein Brokatballkleid hervorschaute, schrie, als sie auf einer Höhe mit Agapkin war, mit schriller hoher Stimme: »Intellenzler, Offiziersschwein! Schande über dich!«
    Sie wollte ihm ins Gesicht spucken, doch Fjodor konnte ausweichen. Sie roch nicht nach Alkohol, sie war berauscht von der neuen Freiheit, bei der alles erlaubt war.
    Viele graue Soldatenmäntel, Lederjacken und -schirmmützen gingen vorbei. Finstere Gesichter, auf denen eine Staubschicht zu liegen schien. Trübe Augen. Harter, direkter, ungeniert abschätziger Blick. Diese Männer waren ruhig und hochmütig. Bewaffnete. Die Organisatoren der höllischen Maskerade. Die neuen Herren der Stadt.
    Über den Gartenring rollten dröhnend Laster, eine ganze Kolonne, mindestens ein Dutzend. Die ersten beiden waren voller Soldaten, die übrigen transportierten nagelneue helle Kiefernsärge.
    Während Agapkin wartete, ertönte hinter ihm eine Stimme: »Wer sind Sie? Offizier? Waffe?«
    Zwei Männer im Soldatenmantel, einer mit einer Ledermütze. Wilde, irre Augen. Zu einem dünnen Riemen zusammengerollte rote Armbinden.
    Sie können nicht alle am frühen Morgen schon betrunken oder berauscht sein, dachte Agapkin, aber es ist ihre Sternstunde. Sie sind wie von Sinnen: Auf einmal ist alles erlaubt.
    »Ich bin Arzt«, sagte er, »ich habe keine Waffe.«
    Glücklicherweise hatte er seine Pistole zu Hause gelassen. Siedurchsuchten ihn gelassen und geschäftig, nahmen ihm die Taschenuhr weg und das silberne Etui mit den Papirossy, schüttelten alles Geld aus dem Portemonnaie und behielten auch das Portemonnaie. Schließlich ließen sie ihn laufen und wandten sich einem alten Mann in einem soliden Ziegenpelzmantel zu.
    Sie werden ihn ausziehen, dachte Agapkin, hoffentlich wohnt er in der Nähe, dass er wenigstens nicht erfriert.
    Agapkin ging weiter, langsam, wie im Schlaf, dann drehte er sich um und sah, wie ergeben, ja beflissen der alte Mann den Mantel auszog, und verharrte plötzlich mitten auf der Straße.
    Ich wehre mich nicht. Es kommt mir nicht einmal in den Sinn, mich oder den alten Mann zu verteidigen. Warum? Ich bin doch genau wie sie, ich bin der Sohn einer Wäscherin, wir sind aus dem gleichen Holz. Aber ich fürchte und hasse sie, ich erstarre vor Angst. Was ist mit mir los? Was bleibt mir noch? Den Kopf gegen die graue Hauswand zu schlagen, in den Erdboden zu versinken, in die Hölle, vor Scham und Angst?
    »In die Hölle«, sagte er laut, mit blutleeren Lippen, »da bin ich sowieso schon. Wir alle sind dort.«
    Er wollte rauchen, um sich ein wenig zu beruhigen, doch dann fiel ihm ein, dass man ihm eben die Papirossy samt Etui abgenommen hatte. Ebenso wie das gesamte Geld, also selbst wenn ein Wunder geschehen und er ein geöffnetes Geschäft finden sollte, würde er nichts kaufen können. Verbandszeug? Windeln, Seife, Brot, Grieß – in der Hölle?
Hamburg 2006
    Das Telefon klingelte, als Sofja duschte. Im Bad gab es einen zweiten Apparat, neben der Toilette. Er klingelte so lange und ausdauernd, dass Sofja das Wasser abdrehte, sich ein Handtuch umwickelte und abnahm.
    »Sofja Dmitrijewna, schlafen Sie noch? Es gibt nur noch eine halbe Stunde lang Frühstück.«
    »Guten Morgen, Iwan Anatoljewitsch. Ich bin schon wach. Ich brauche noch

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