Bis in alle Ewigkeit
Stepanenko.
»Auch nicht unter den Getöteten«, ergänzte Kudijarow und riss endlich ein Streichholz an.
»Hui, weg ist er, der liebe Oberst.« Stepanenko spitzte die Lippen. »Vielleicht an den Don, zu Ataman Kaledin.
»Wird er denn nicht noch einmal seine junge Frau aufsuchen, sich verabschieden?«, fragte Kudijarow.
»Tatjana Michailowna ist hochschwanger, glaube ich«, sagte der Meister und sah Agapkin an. »Oder hat sie schon entbunden?«
»Ja, das hat sie«, sagte Agapkin kaum hörbar.
»Ach ja? Aber warum sagen Sie das so traurig? Ich hoffe, es ist alles gut verlaufen?«
»Ja. Das Kind ist gesund. Ein Junge.«
»Na, dann kann man dem Herrn Oberst ja gratulieren«, sagte Kudijarow munter, »er kehrt heim, und da wartet so eine Überraschung. Ein Sohn. Sein Erstgeborener.«
Die starren hellbraunen Augen saugten sich an Agapkin fest. Agapkin erwiderte den Blick des Genossen Kudijarow und erkannte ihn endlich.
Grigori Wsewolodowitsch Kudijarow hatte ab 1914 die Krankenhauskasse verwaltet. Im Dezember 1916 war er mit einer erklecklichen Summe verschwunden und wurde seitdem gesucht. Im Lazarett hieß es, der geflohene Kassierer Kudijarowsei kein banaler Dieb, sondern ein politischer. Er habe das Geld für die Partei der Bolschewiki gestohlen, der er seit langem angehörte, und habe enge Beziehungen zu deren Spitze, zu Lenin und Trotzki.
Kriminal- und Geheimpolizei waren mehrere Monate lang im Lazarett herumgelaufen und hatten Ärzte und Feldscher vernommen, aber ohne Ergebnis. Sie hatten lediglich herausgefunden, dass Kudijarow gar keinen Betriebswirtschafts-Abschluss vorweisen konnte, sondern ein abgebrochenes Medizinstudium, und dass er vom ersten Tag an Geld aus der Lazarettkasse gestohlen hatte, allerdings nur kleine Beträge.
Agapkin hatte selten mit ihm zu tun gehabt und ihn darum nicht gleich wiedererkannt. Als er jetzt in die kalten klugen Augen sah, begriff er, dass Kudijarow ihn sofort erkannt und es deshalb nicht für nötig gehalten hatte, sich vorzustellen.
»Übermitteln Sie unbedingt auch in unserem Namen Glückwünsche«, sagte Kudijarow.
»Ja, Genosse Agapkin, unsere Empfehlung und Hochachtung an Seine Wohlgeboren.« Stepanenko kicherte und bewegte ruckartig den Kopf, eine Verbeugung andeutend.
»Wie geht es Michail Wladimirowitsch?«, fragte der Meister.
»Danke, schon besser«, murmelte Fjodor mit steifen Lippen.
»Keine Komplikationen, Entzündungen?«
»Nein. Aber wir haben nicht genügend Verbandszeug, die Lebensmittel gehen zu Ende, und es ist kalt.« Agapkin hätte beinahe hinzugefügt, dass sie auch Windeln brauchten, biss sich aber auf die Zunge, als er Kudijarows Blick begegnete.
»Folgendes, Genosse Agapkin«, sagte der ehemalige Lazarettkassierer nachdenklich, »oder entschuldigen Sie, soll ich Sie lieber mit Herr anreden?«
Agapkin verzog gequält das Gesicht und schüttelte den Kopf. Kudijarow verstand das auf seine Weise und fuhr fort: »AnatoliWassiljewitsch persönlich interessiert sich für die Versuche von Professor Sweschnikow. Ich habe ihn vor meiner Abreise nach Moskau getroffen, und er hat mich ganz vertraulich gebeten, den Professor ausfindig zu machen. Wir brauchen solche Leute. Wir werden ihm ein Labor zur Verfügung stellen und ihn mit allem Notwendigen versorgen.«
»Anatoli Wassiljewitsch Lunatscharski, der Volkskommissar für Volksbildung«, erklärte der Meister auf Agapkins fragenden Blick hin.
»Im Moment brauchen wir Verbandszeug.«
»Ach, übrigens, wie hat sich der Professor eigentlich die Kugel im Bein eingefangen?«, fragte Stepanenko plötzlich ohne jedes Lächeln, mit einem gespannten Blinzeln. »Was wollte er denn auf der Straße, mitten in einer Schießerei? Etwa seinem tapferen Schwiegersohn zu Hilfe eilen?«
»Wir sind hinausgegangen, um Brot zu kaufen.«
»Brot?«, fragte Kudijarow. »Nun ja, verstehe. Sagen Sie, Genosse Agapkin, wie steht Michail Wladimirowitsch generell zu den Ereignissen? Was sind seine politischen Ansichten, mit wem sympathisiert er?«
»Er ist verwundet. Ihn peinigen die Schmerzen im Bein. Er hat einen neugeborenen Enkel, im Haus ist es kalt, und es gibt nichts mehr zu essen. Und überhaupt steht er der Politik fern. Ihn interessieren nur die Medizin, die Biologie und seine Familie.«
Ein Dienstmädchen brachte den Tee. Die Gäste tranken jeder ein Glas und verabschiedeten sich. Stepanenko drückte Agapkin kräftig die Hand. Kudijarow nickte ihm nur zu, und Agapkin fiel ein, dass er im Lazarett bekannt
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