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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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gewesen war für seine seltsame Angewohnheit, niemandem die Hand zu geben.
    Als sie weg waren, wagte Agapkin endlich, den Meister um eine Papirossa zu bitten.
    »Der Genosse Kudijarow hat 1916 unsere Lazarettkasse geplündert«, flüsterte er nach dem ersten Zug hastig.
    »Das heißt Expropriation«, erklärte der Meister ebenso flüsternd, »jetzt heißt überhaupt alles anders, auch wir beide, Genosse Agapkin.«
    »Meister, erklären Sie mir, wer sind diese Leute? Was geht hier vor?«
    Er war fast sicher, dass die Antwort lediglich eine Erinnerung an die Länge seines Seils sein würde, bekam aber etwas ganz anderes zu hören.
    »Sie haben uns überlistet, Disciple. Das ist unsere eigene Schuld. Wir haben sie unterschätzt.«
    »Wen – sie?«
    »Das ist es ja gerade, das lässt sich nicht so klar definieren. Formal heißen sie ›Partei der Bolschewiki‹. Im Grunde ist es eine kleine terroristische Organisation mit marxistischer Ideologie.«
    »Karl Marx, ein deutscher Spiritist«, erinnerte sich Agapkin, »er hat ein Buch geschrieben über ein Gespenst, das in Europa umgeht.«
    Der Anflug eines Lächelns huschte über Belkins Lippen, aber er schüttelte traurig den Kopf.
    »Trinken Sie Ihren Tee, Disciple. Karl Marx ist kein Spiritist. In seiner Jugend hat er für schwarze Magie und Satanismus geschwärmt, dann hat er sich seriösen ökonomischen Theorien zugewandt. In seinem berühmten Manifest geht das Gespenst des Kommunismus in Europa um. Aber er hat mit dem Ganzen nichts zu tun. Er ist nur ein Schlagwort, ebenso falsch wie alle ihre Schlagworte. Alle Macht den Sowjets. Den Boden den Bauern. Alles Lüge.«
    »Und was ist die Wahrheit?«
    »Sie haben gesiegt. Das ist die Wahrheit. Wir haben verloren,und jetzt müssen wir entweder damit leben oder sterben. Übrigens werden künftige Historiker uns Freimaurern die Schuld an allem geben, genau wie nach der Französischen Revolution. Und den Juden, wie immer und überall. Merkwürdigerweise will niemand die simplen Gesetze der Evolution in Betracht ziehen.«
    »Sie haben also einfach Glück gehabt? Weil sie zur rechten Zeit am rechten Ort waren?«, fragte Agapkin.
    »Ja. Genau. Sie haben den sauren Geruch des Gärens gewittert, die heftige, irrationale Sehnsucht nach Stenka Rasin und Jemeljan Pugatschow.«
    »Aber konnte man das alles denn nicht voraussehen, Meister?«
    »Ich sagte doch bereits, Disciple, sie wurden nicht ernst genommen. Sie sind nur wenige. Sie kennen Russland nicht. Konspiration, Illegalität, Verbannung, viele Jahre im Ausland. Höchstens zwei, drei von ihnen haben eine abgeschlossene Hochschulbildung. Die meisten sind Halbgebildete mit krimineller Vergangenheit. Professionelle Revolutionäre. Eine Art schwarzer Geheimorden mit ungeheuren Ambitionen.«
    »Meister, sind Sie sicher, dass sie lange herrschen werden?«
    »Unglücklicherweise ja. Ich bin sicher. Sie beißen sich fest wie englische Bulldoggen.«
    »Vielleicht kann man ihnen ja die Zähne ausbrechen?«
    »Schön wär’s, aber wer sollte das tun? Im Augenblick begreift noch kaum jemand die Bedeutung und Unumkehrbarkeit der Ereignisse. Die meisten glauben, Kerenskis provisorisches Kabinett sei einfach vom neuen Übergangskabinett Lenins abgelöst worden und im Grunde habe sich nichts geändert. Dieser allgemeine Irrtum nützt ihnen. Bevor die Leute sich besonnen und ihr Wesen erkannt haben, werden sie in Russland ihre eigene Ordnung einführen, eine Ordnung, bei der sich niemand mehr muckst.«
    »Das verstehe ich nicht, nein.« Agapkin schüttelte störrischden Kopf. »Wie können sie ihre eigene Ordnung einführen? Wie sollen sie sich an der Macht halten, wenn ihr Beruf die Revolution ist?«
    »Disciple, Sie machen mir Freude.« Der Meister lächelte, diesmal breit und offen. »Die erste vernünftige Bemerkung in diesen Tagen. Sie scheinen allmählich wieder zu sich zu kommen. Gratuliere. Natürlich können sie das allein nicht schaffen. Um wenigstens einen primitiven Staatsapparat aufzubauen, brauchen sie ausgebildete Fachleute. Polizisten, Militärs, Finanzfachleute, Lehrer, Ärzte, Diplomaten, Spione. Außerdem verlangt eine Diktatur, und ohne die werden sie nicht auskommen, einen so gewaltigen Beamtenapparat, wie ihn kein demokratischer Staat je gesehen hat. Zum Glück sind sie noch nicht imstande, Hunderttausende gebildete, ihnen loyal gesinnte Leute im Reagenzglas heranzuziehen. Sie müssen also mit denen vorliebnehmen, die da sind. Das gibt uns die Chance, wenigstens zu

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