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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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gefragt?«
    »Warte, Pawel, lass Fjodor sagen, wie lange er meint.«
    »Das kann ich nicht.« Agapkin schüttelte den Kopf. »Aber ich weiß, dass es länger dauern wird. Viel länger.«
Sylt 2006
    Es wehte ein heftiger Wind. Sofja zitterte und klapperte mit den Zähnen. Subow setzte ihr die Kapuze auf und wickelte den Schal darum. Sie lächelte ihn unter Tränen dankbar an. Sie gingen bis zum ersten Café auf der Strandpromenade, setzten sich, und der Kellner legte Sofja eine Decke um die Schultern.
    »Vielleicht sollten wir etwas zu essen bestellen? Hier gibt es großartige Austern. Mögen Sie Austern, oder haben Sie die auch noch nie probiert?«
    »Sind sie anders als Muscheln?«
    »Bestellen wir doch einfach welche, dann werden Sie sehen.«
    »Nein. Danke. Wenn ich nervös bin, schnürt es mir immer die Kehle zu. Dann kriege ich nicht einmal einen Schluck Wasser herunter. Ich muss sofort würgen. Wissen Sie, ich glaube, das hat mir das Leben gerettet. Nach der Beerdigung, bei der Totenfeier, hat mir Bims Frau Kira Beruhigungstabletten gegeben. Drei Kapseln, nicht zugeschweißt, genau wie die Vitaminpillen, nur gelb. Natürlich hatte sie keine Ahnung. Er hat sie ihr für mich gegeben. Ich war damals vollkommen durcheinander, aber als ich heute Nacht im Hotel die Kapsel in der Aktentasche fand, da fiel mir das wieder ein, und ich wäre fast durchgedreht, ich habe versucht, mir einzureden, dass das Unsinn ist und Bim nichts damit zu tun hat. Noch vor einer Stunde habe ich gehofft, dass ich mich irre. Iwan Anatoljewitsch, lassen Sie uns ein Stück spazieren gehen. Ich möchte aufs Meer schauen, ich habe es ewig nicht gesehen.«
    Sie erhoben sich, verließen das Café und liefen sie am Strand entlang.
    »Kann man hier baden?«, fragte Sofja.
    »Nur, wenn Sie Eisbaderin sind.«
    »Ich meine natürlich nicht jetzt – im Sommer. Na ja, ich kann sowieso nicht schwimmen.«
    In Subows Kopf formte sich indessen deutlich der Satz: Ach, übrigens, was ich Ihnen noch sagen muss, ganz in der Nähe, nur eine Straße weiter, wohnt Ihr leiblicher Großvater, zu dem wollte ich Sie eigentlich bringen. Aber das erschien ihm jetzt völlig unpassend, also sagte er: »Selbst im Sommer badet hier kaum jemand. Das Meer ist ziemlich kalt.«
    »Warum gilt die Insel dann als begehrter Urlaubsort? Läuft man hier Ski?«
    »Sehen Sie irgendwo Berge?«, fragte Subow und probte imStillen: Sofja Dmitrijewna, hören Sie mir bitte zu und regen Sie sich möglichst nicht auf. Sie werden heute einem Menschen begegnen, der … Diese Variante erschien ihm noch ungeschickter als die erste.
    »Was macht man dann hier?«, fragte Sofja.
    »Sich erholen.«
    »Wie?«
    »Na, so.« Subow nickte zu den Reihen gestreifter Strandkörbe hinüber.
    »Einfach nur dasitzen?«
    »Ja. Dasitzen, atmen, aufs Meer schauen, den Möwen lauschen. Die Luft hier soll ganz besonders gesund sein.«
    Vielleicht hat sich Ihr Großvater Michail Pawlowitsch Danilow deswegen gerade hier niedergelassen. Außer Ihnen hat er niemanden mehr auf der Welt.
    Diese Variante fand Subow etwas besser als die beiden vorigen. Natürlich wusste sie selbst schon Bescheid, aber er musste trotzdem mit ihr darüber reden. Musste irgendwo ansetzen.
Moskau 1917
    Am 10. November waren alle Kirchen in Moskau geschlossen. Die Bolschewiki begruben ihre Toten – ohne Totenmesse, in roten Särgen, an der Kremlmauer.
    Den ganzen Tag herrschte in der Stadt eine seltsame, ungewohnte Stille. Die Menschen auf der Straße und in den Wohnungen unterhielten sich nur halblaut, die Stadt war in dichten grauen Nebel gehüllt. Unter den Füßen schmatzte Schneematsch, hin und wieder dröhnten die Motoren von Panzerwagen auf, rumpelten LKW über die kaputten Straßen, jaulten die Trompeten der Trauerorchester.
    Die nächsten zwei Tage war es noch stiller. Moskau war wie erstarrt. Es hatte schon oft aus Ruinen auferstehen müssen, hatte Epidemien, Wirren, Brände, tausendfach Verrat und Mord erlebt und öffentliche Hinrichtungen auf dem Roten Platz. Aber noch nie in der ganzen Geschichte Russlands war der Kreml mit schweren Geschützen beschossen worden, noch nie hatte jemand seine Toten ohne Totenmesse begraben, noch dazu mitten in der Stadt, an der Kremlmauer. Das hatte etwas von uralter ritueller Gotteslästerung, von schwarzer Magie, etwas Dämonisches.
    Am Morgen des 13. November war Moskau erfüllt von Glockengeläut.
    Auf dem weitläufigen Gelände der Großen Himmelfahrtskirche standen zahlreiche offene Särge.

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