Bis in alle Ewigkeit
Ich weiß nicht einmal, wie viel es ist.«
Nolik stand abrupt auf und ging in die Küche. Sofja hörte ihn dort rumoren, er klappte die Kühlschranktür zu, schniefte, ließ Wasser laufen.
»Ich hab Pelmeni gefunden. Butter und Schmand sind natürlich nicht da, aber Senf«, knurrte Nolik, als sie zu ihm in die Küche kam. »Hör mal, Sofie, meinst du nicht, dass es ganz gut wäre, etwas zu essen zu besorgen, bevor deine Mutter kommt? Es ist nichts zum Frühstück da, sogar der Kaffee ist alle. Und wäre es nicht Zeit, dir neue Stiefel zu kaufen?«
»Du spielst auf Papas Reserve an?«, fragte Sofja.
»Das ist keine Anspielung. Das sage ich offen und geradeheraus. Du bist dreißig Jahre alt, Sofie. Für kindliche Naivität schon zu alt, für Senilität noch zu jung.« Nolik schüttelte energisch den Salzstreuer über dem Topf. »Deine Stiefel sind längst reif zum Wegwerfen. Genau wie dein Mantel. Besinn dich, Sofie, schau in den Spiegel.«
»Du wirst die Pelmeni versalzen, und dann hast du gar nichts zu essen.« Sofja nahm die Schachtel mit seinen billigen Zigaretten vom Tisch und zündete sich eine an. »Du willst sagen, ich bin schlampig?«
»Nein, Sofie. Du bist nicht schlampig. Du bist gleichgültig. Dir ist alles piepegal, bis auf deine Biologie.«
»Das stimmt nicht. Ich mag Musik, alten schwarzen Jazz, Bardenlieder und die Oper Eugen Onegin . Ich lese viel, nicht nur Fachliteratur, sondern auch Belletristik, und ich habe mir vor kurzem sogar einen Film im Fernsehen angeschaut, ich hab vergessen, wie er hieß. Dass ich mir keine Klamotten kaufe und keine Kosmetik benutze, das ist kein Prinzip, Nolik, das ist die reine Not. Ich arbeite in einem staatlich finanzierten Institut. Weißt du, wie viel ein wissenschaftlicher Mitarbeiter verdient? Dreieinhalbtausend Rubel. Papa hatte etwas mehr, fünftausend. Schön, er hat Privatstunden gegeben, aber er hat kein Schmiergeld genommen. Unser Geld reichte für die Wohnung, fürs Essen, wir haben uns ein Auto gekauft und für jeden ein gutes, teures Notebook. Natürlich hätte ich mich anständiger kleiden können, aber dafür muss man einen Haufen Zeit und Kraft mit Einkäufen verschwenden. Mir steht nichts, und meine Größe ist nie da. Die Verkäuferinnen sind entweder furchtbar aufdringlich oder arrogant. Bei dem Licht und den Spiegeln in den Ankleidekabinen möchte ich losheulen. Klar, manche Frauen sind bei jeder Beleuchtung hingerissen von sich, wenn sie in den Spiegel schauen, aber ich gehöre nicht zu diesen Glücklichen. Ich hasse Geschäfte.«
»Sofie, ich glaube, ich habe zum ersten Mal in zehn Jahren von dir einen so langen Monolog ohne einen einzigen biologischen Terminus gehört. Du hasst also Bekleidungsgeschäfte. Das verstehe ich. Und was hältst du von Lebensmittelläden?«
»Schon gut, du hast recht. Ich muss Geld aus Papas Reserve nehmen und in den Supermarkt gehen.«
Auf dem Schreibtisch ihres Vaters lagen noch immer die alten Fotos. Auf dem Grund des obersten Schubfachs fand Sofja zweitausend Dollar und dreißigtausend Rubel. Dort lagen auch der alte Parteiausweis ihres Vaters, der Komsomolausweis ihrer Großmutter, eine Schachtel mit den Orden, die man ihr postum verliehen hatte, irgendwelche Urkunden mit Ähren und Leninporträt und eine rote Ledermappe mit Seidenbändern. Sofja zog fünftausend Rubel aus dem Packen. Ein paar Sekunden lang betrachtete sie die rote Mappe, nahm sie in die Hand, schlug sie aber nicht auf, sondern legte sie wieder zurück.
Nolik wartete schon angezogen im Flur. Sofja versuchte, in den Stiefel mit dem halboffenen Reißverschluss zu schlüpfen. Es ging nicht. Sie musste die Turnschuhe anziehen.
Der Supermarkt war zwei Häuserblocks entfernt. Um keine kalten Füße zu bekommen, rannte Sofja. Nolik blieb hinter ihr zurück und knurrte wütend. Als sie den Einkaufswagen an den Regalen entlangschoben, wurde er wieder freundlich, als er entdeckte, dass Sofja extra für ihn eine kleine flache Flasche Kognak in den Wagen gelegt hatte. Sobald sie mit vollen Einkaufstaschen wieder zu Hause waren, öffnete er die Flasche, schenkte sich ein Gläschen ein, aß Schokolade dazu und zog dann erst Jacke und Schuhe aus. Sofja ging in das Arbeitszimmer ihres Vaters und sammelte die Fotos ein.
Nolik hat sich bestimmt geirrt. Das Mädchen auf dem Fotovon 1939 sieht Oma Vera einfach nur sehr ähnlich. Aber sie kann es unmöglich sein.
Sofja nahm das Porträtfoto ihrer Großmutter vom Bücherregal, holte das alte Familienalbum
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