Bis in alle Ewigkeit
ihn Tanja eines Tages.
»Weil es, wenn dieser Augenblick kommt, unerträglich wehtut«, antwortete der Professor.
»Dieser Augenblick kommt immer, ob früher oder später, also kann man nur Infusorien, Bakterien und den Ratz Grigori III. lieben.«
»Und noch vier Ratten, zwei Meerschweinchen und ein Kaninchen«, murmelte der Professor und summte leise die Romanze Nebliger Morgen vor sich hin.
»Was?« Tanja blieb abrupt stehen und begann zu flüstern, obwohl sie niemand hören konnte, denn sie liefen den menschenleeren Twerskoi-Boulevard entlang. »Du machst weiter mit den Versuchen? Und sie gelingen? Warum hast du nichts davon gesagt?«
»Weil es vorerst nichts darüber zu sagen gibt. Ich bin mir der Ergebnisse nicht sicher, es ist noch zu wenig Zeit vergangen, aber selbst wenn etwas gelingt, ist es besser, darüber zu schweigen. Das weißt du selbst sehr gut.« Der Professor legte seiner Tochter den Arm um die Schultern. »Du siehst doch, was mit Agapkin los ist. Er ist dem Wahnsinn nahe. Bei ihm sterben die Tierchen.«
»Hast du ihm alles erzählt?«
»Ich habe ihm den Weg gewiesen, möchte aber nicht jeden meiner Schritte kommentieren, zumal ich mir selbst noch nicht sicher bin.«
»Du hast es nie in seiner Gegenwart getan, mit ihm zusammen. Warum nicht?«
»Ja, tatsächlich, warum nicht?«
»Aber er verlässt das Labor doch praktisch nie.«
»Er schläft manchmal. Die Zeit genügt mir vollauf. Weißt du, was das Merkwürdigste ist? Er bemerkt meine verjüngten Tierchen gar nicht. Ich sage ihm nichts, verheimliche aber auch nichts. Er ist wie blind.«
»Stimmt, er ist blind.« Tanja runzelte die Stirn, schwieg eine Weile und flüsterte dann: »Aber ich habe auch kein einziges Tier mit Trepanationsspuren gesehen. Grigori hast du doch den Schädel geöffnet. Es ist zwar alles erstaunlich schnell verheilt, aber doch nicht gleich am nächsten Tag, er hatte fast eine Woche lang einen Verband um den Kopf.«
»Eine Trepanation ist offenbar auch nicht nötig. Es ist einfacher, aber zugleich tausendmal schwerer.«
»Wie?«
»Wenn ich das wüsste – wie. Und wenn ich verstehen könnte – warum. Sieben von zehn Experimenten waren erfolgreich, ohne jede Trepanation. Aber ich muss noch lange beobachten, ich bin nicht sicher. Vielleicht sterben sie plötzlich, oder Agapkin nimmt sie sich vor und öffnet ihnen den Schädel. Vielleicht sollte ich ihm sagen, dass er sie nicht anrühren soll?«
»Wirf ihn raus«, sagte Tanja nach einer langen Pause, »hol Doktor Potapenko oder Maslow. Sie würden gern mit dir arbeiten. Agapkin ist irgendwie unangenehm und außerdem neurasthenisch.«
»Oh, bist du aber streng, meine Liebe.« Der Professor lächelte und schüttelte den Kopf. »Du solltest nachsichtiger sein, du willst doch Ärztin werden. Komm, gehen wir in die Konditorei, ich habe große Lust auf Zitronenkuchen und Kaffee.«
»Papa, ich werde dir vorerst keine Fragen mehr stellen«, sagteTanja, als sie sich an den Tisch gesetzt hatten. »In Ordnung?«
»Ob du fragst oder nicht, viele Fragen kann ich mir selbst noch nicht beantworten. Ich habe Angst, ich glaube nicht, ich verstehe nicht. Aber ich kann nicht aufhören. Das ist wie ein Narkotikum. So, genug davon.«
»Gut.« Tanja zuckte die Achseln und blätterte in der Karte.
Ein Kellner kam an ihren Tisch. Der Professor bestellte gleich drei Stück Kuchen, Kaffee mit Sahne und ein Gläschen Likör. Tanja überlegte lange, entschied sich für ein Sandkuchentörtchen mit Obst und eine Tasse Kakao und bat den Kellner, einen Boten mit einem großen Apfelkuchen ins Lazarett zu schicken.
»Ossja hat darum gebeten«, erklärte sie ihrem Vater, »den mag er gern. Und zu uns nach Hause holen müssen wir ihn trotzdem. Jeden Tag kann Seine Exzellenz ins Lazarett kommen, und du weißt, was dann los ist.«
»Was?« Der Professor mimte komisches Entsetzen. »Der General schickt mich in den Ruhestand? Aber ich bin auch General, hast du das vergessen?«
»Er ist Gendarm, und du bist Arzt.«
»Genau. Wer ist wohl wichtiger im Lazarett, was meinst du?«
Tanja runzelte die Stirn, drehte sich weg und betrachtete die Bilder an der Wand. Es waren billige Reproduktionen, aber in dicken Goldrahmen, die Luxus suggerieren sollten. Schließlich sagte sie kaum hörbar, ohne ihren Vater anzusehen: »Ossja ist Jude.«
»Was du nicht sagst! Danke, das habe ich nicht gewusst.«
»Das ist nicht witzig, Papa! Seine Exzellenz ist ein fanatischer Antisemit.«
»Das geht meist mit
Weitere Kostenlose Bücher