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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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Verwundeten, sie schläft nachts nicht, weil sie nur an sie denkt.«
    »Na, dass sie nachts nicht schläft, hat wohl eher andere Gründe.«
    »Hören Sie auf, dass Sie sich nicht schämen!«
    »Was habe ich denn Anstößiges gesagt?«
    »Was, zum Teufel, will sie hier, verzeih mir Gott!«
    Endlich waren Hufgetrappel und das Knattern von Automotoren zu vernehmen. Durch das offene Tor kamen berittene Offiziere der kaiserlichen Kosakenleibgarde. Hinter den Reitern rollte langsam ein riesiges Automobil herein, das aussah wie eine herrschaftliche Kutsche. Der Chauffeur, ganz in braunes Leder gehüllt, sprang heraus und riss den Wagenschlag auf.
    Als Erster erschien der Graf, ein rundlicher kleiner Mann im Generalsmantel. Dann kletterten nacheinander zwei junge Mädchen heraus, beide in der Uniform barmherziger Schwestern mit schlichtem Pelzmantel darüber. Die Prinzessinnen Tatjana und Olga wirkten auf Tanja sympathisch und gar nicht majestätisch. Ihre jungen Gesichter mit den dunklen Augenbrauen zeigten einen Ausdruck von Verlegenheit und Erschöpfung, wie stets bei derartigen offiziellen Zeremonien, bei denen alle Augen auf sie gerichtet waren, bei denen man sie musterte und studierte, gleichgültig oder voller Neugier.
    Nach ihnen entstieg dem Automobil eine große Dame, ebenfalls in Schwesterntracht.
    Die offiziellen Porträts schwindelten ebenso wie die boshaften Karikaturen und schlüpfrigen Bildchen. Selbst die unvoreingenommene Kinochronik schwindelte. Die leibhaftige Zarin Alexandra Fjodorowna hatte nichts gemein mit dem Bild der mystischen Furie, deutschen Spionin und verrückten Geliebten eines schmutzigen Bauern.
    Sie hinkte. Sie hatte schmale bläuliche Lippen und kranke, besorgte Augen. Ihr Gesicht war schön und elend zugleich. Es spiegelte klösterliche Demut und Härte ebenso wie Launenhaftigkeit. Es war unangenehm, wie Sirup mit Salz.
    »Papa, ist sie es, auf deren Haut Perlen sterben?«, flüsterte Tanja dem Professor fragend ins Ohr.
    Er nickte.
    Die Zarin verbeugte sich mit einem Lächeln vor jedem Einzelnen. Die Ärzte küssten ihr die Hand, den Schwestern drückte sie die Hand. Sie sprach mit leichtem deutschem Akzent, und das wirkte provozierend. Tanja erinnerte sich plötzlich, wie sich Zeitgenossen von Katharina II. über deren Akzent geäußert hatten – er hatte sie gerührt und entzückt. Ja, sie war Deutsche – aber wie sie sich bemühte, Russin zu sein, wie sie sich um Russland sorgte!
    »Professor Michail Wladimirowitsch Sweschnikow. Ich freue mich, Sie zu sehen. Was machen Ihre biologischen Forschungen?« Die Zarin lächelte erneut, und aus der Nähe wirkte ihr Lächeln falsch. Sie zog die Lippen auseinander, aber ihr Blick blieb besorgt. Ihre Augen huschten unruhig umher und wichen denen des Gegenübers aus.
    »Majestät, mir steht der Sinn nicht nach Experimenten. Es ist Krieg«, antwortete Sweschnikow.
    Die Prozession bewegte sich langsam durch die Flure, in den Krankensälen gingen Ihre Majestät und die Prinzessinnen zu den Verwundeten und sprachen leise und teilnahmsvollmit ihnen. Tanja bemerkte, dass Schwester Arina gerührt schluchzte, und nicht nur sie, sondern auch die Ärzte und Schwestern, die sich vor ein paar Minuten noch verächtlich über den hohen Besuch geäußert hatten, lauschten nun gebannt auf jedes Wort der Zarin, manch einer schrumpfte sogar, und selbst die Augen der Männer wurden feucht. Nur ihr Vater verhielt sich natürlich und normal. Er sprach mit der Zarin im selben Ton wie mit Ärztekollegen, Verwundeten und Pflegern.
    »Michail Wladimirowitsch, es war doch Ihre Idee, die Verwundeten kühl zu halten, nicht wahr?«, fragte die Zarin plötzlich.
    »Majestät, dass sich bei niedrigen Temperaturen die Gefäße verengen, Blutungen nachlassen und das Gehirn weniger Sauerstoff braucht, das wussten schon die alten Griechen und Römer und die Volksmedizin.«
    Doch die Zarin hörte nicht mehr zu, sie sprach mit Schwester Arina, dann mit dem Grafen. Sie stiegen hinauf in den ersten Stock und gingen auf ein weiteres Krankenzimmer zu, einen kleinen Raum mit nur zwei Betten. Dort lagen zwei Schwerverwundete mit eitrigen Komplikationen. Die Tür war nur angelehnt. Der Chefarzt wollte die Prozession daran vorbeiführen, doch Ihre Majestät blieb stehen, lächelte und legte den Finger auf die Lippen.
    Von drinnen drang eine heisere Kinderstimme:
    »Den Flug der Liebe bremst man nicht:
    Die Dame trifft doch keine Schuld!
    So selbstvergessen schwesterlich
    Schenkt sie dem

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